Die Gründe der Oktroyierung. 49
Erfüllung die oktr V darstellt. Wie im März, so soll auch im Dezember
1848, bei der Oktroyierung, die treibende Kraft nicht die innere, sondern
die äußere, die deutsche Politik gewesen sein, — nur mit dem
gewichtigen Unterschiede, daß im März der deutsche Staatsgedanke den
preußischen, im Dezember aber umgekehrt der preußische den deutschen
besiegt habe. Auf diese kürzeste Formel läßt sich nämlich die von Meinecke
(Weltbürgertum und Nationalstaat 374 ff., 399ff.) aufgestellte Theorie über
Grund und Zweck der Oktroyierung zurückzuführen. Meinecke sieht in der
Oktroyierung eine Reaktion des preußischen Selbstgefühls gegen die im
Frankfurter Parlament herrschende Tendenz, welche wohl den preußischen
König zum Deutschen Kaiser machten, den preußischen Staat aber
möglichst in Deutschland aufgehen lassen, ihn in ein Aggregat von Reichs-
provinzen mit Provinziallandtagen ohne gemeinsamen Landtag verwandeln
wollte und in jeder einheitlichen Verfassung für ganz Preußen ein
Hemmnis dieser Verwandlung erblickte.
Daß eine solche Tendenz in der Frankfurter Paulskirche, und zwar
nicht sowohl auf der radikalen Linken als besonders bei den ge-
mäßigten, monarchistischen Gruppen, die sich dann zu der „erbkaiser-
lichen" Partei zusammenschlossen, vorherrschte, ist unbestreitbar (val.
die Mitteilungen Meineckes über die Ansichten von Männern wie
Friedrich, Max und Heinrich v. Gagern, Rümelin, Dahlmann, R. Haym,
Simson, Droysen, Max Duncker, a. a. O. 342 ff., 348 ff., 352 ff., 374,
379, 388, 391 444). Sie hatte auch sonst, bei Politikern, die, ohne
dem Parlament anzugehören, die Grundgedanken der Erbkaiserlichen
vertraten, viele Anhänger (z. B. Stockmar, Meinecke a. a. O. 358 ff.;
vgl. auch die dort und 396 wiedergegebenen Außerungen der „Deutschen
Zeitung“", des Organs der südwestdeutschen Nationalpolitiker). Das
von König Friedrich Wilhelm IV. in seiner Proklamation vom 21. März
1848 selbst ausgesprochene Wort von dem Aufgehen Preußens in
Deutschland wurde in diesen Kreisen durchaus ernst genommen. Das
Nebeneinander eines deutschen und eines preußischen Parlaments
in dem künftigen geeinten Deutschland hielt man allgemein für eine
politische Unmöglichkeit. Man glaubte, daß zwei so große parlamen-
tarische Versammlungen notwendigerweise in Konflikt geraten würden,
man befürchtete eine Beeinträchtigung des Ansehens und der Macht
des deutschen Parlaments durch das preußische, — man meinte vor
allem, daß eine gesamtpreußische Volksvertretung die innere Einheit
und Geschlossenheit ihres Staates so sehr stärken würde, daß dadurch
das „Ausgehen" desselben in Deutschland unmöglich werde, — während
repräsentative Vertretungen der einzelnen preußischen Provinzen,
Anschütz, Preuß. Verfassungs-Urkunde. I. Band. 4