Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

72 Artikel 2. Grenzregulierungen tm deklarativen und konstitutiven Sinne. 
minder wie Abtretungen (Zessionen), woraus im Hinblick auf das Wesen 
der für beide Arten von Alten angeordneten Gesetzesform erhellt, daß 
die Staatsregierung ohne Zustimmung des Landtags das Staatsgebiet 
weder verkleinern noch vergrößern darf, — abweichend von dem Staats- 
recht der deutschen Mittelstaaten (Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden; 
Näheres bei Anschütz, Enzykl. 524), welches die Zustimmung der Volks- 
vertretung nur für Abtretungen, nicht auch für Erwerbungen fordert. — 
Unerheblich ist natürlich die Größe der abzutretenden bzw. zu er- 
werbenden Fläche. Auch die geringfügigste „Grenzregulierung“ oder 
„Grenzberichtigung“ fällt unter Art. 2, wofern sie nur eben nicht bloß 
unklare Grenzen feststellt, sondern klare verändert (vgl. oben Nr. 3). 
So auch vR8 1 196 Nr. 4, der indessen die (gleichbedeutenden) Aus- 
drücke „Grenzregulierung", „Grenzberichtigung“ nur auf deklarative Akte 
anwenden will. 
5. Unter Artikel 2 fallen — da hier nicht sowohl von Grenz- als 
von Gebietsveränderungen die Rede ist — selbstverständlich auch solche 
Erwerbungen, die mit dem dermaligen preußischen Staatsgebiet nicht 
in räumlichem Zusammenhang stehen und daher rein äußerlich betrachtet 
eine Anderung der „Grenzen“ jenes Gebietes nicht bewirken (Erwerb 
von Helgoland, G. v. 18. Febr. 91), und ebenso Abtretungen ohne Ver- 
schiebung der bestehenden Außengrenzen (Begründung von Enklaven eines 
fremden Staates innerhalb Preußens). 
6. Der Artikel findet nur Anwendung, wenn die Staatsherrschaft 
bezüglich eines Gebietes im gan zen und vollständig, oder doch grund- 
sätzlich auf bzw. von Preußen übergehen soll; die Erstreckung der preußischen 
Staatsgewalt auf fremdes Land in nur einzelnen bestimmten Richtungen 
und Beziehungen gehört ebensowenig hierher wie der umgekehrte Fall: 
Beschränkung der preußischen Gebietshoheit durch konventionelle Ein- 
räumung von sog. Staatsdienstbarkeiten. Durch die Militärkonventionen, 
insbesondere die mit den kleineren deutschen Staaten abgeschlossenen, 
durch Verträge über Justiz= und Zollanschlüsse, durch die Lotterieverträge 
(vRZ 2 752) ist der Machtbereich des preußischen Staates, nicht aber 
sein Gebiet ausgedehnt worden; in sachlich noch weit größerem Umfange 
geschah dies durch die sog. Akzessionsverträge mit dem Fürstentum 
Waldeck (jetzt geltender Vertrag: vom 2. März 1887, GS 177), kraft 
deren die gesamte „innere Verwaltung“ jenes Staates auf Preußen 
übergegangen und damit ein Zustand geschaffen worden ist, der sich 
von der vollkommenen administrativen Inkorporation Waldecks in 
Preußen im praktischen Effekt kaum noch unterscheidet. Ob Staatsver- 
träge der vorbezeichneten Art unter anderen staatsrechtlichen Gesichts-
	        
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