Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 2. Der Weg der Gesetzgebung. 75 
Auch hier vollzog sich der Erwerb durch den Verzicht Osterreichs 
auf seine Kondominatsrechte (geschehen durch die Friedensschlüsse von 
1866); auch hier bedurfte es eines Grenzveränderungsgesetzes nach Art. 2, 
und dies Gesetz erging unter dem 24. Dezember 1866 (GS 875). c. Die 
dritte Möglichkeit der Beendigung des Kondominats ist die Umkehrung der 
zweiten, also Austritt Preußens aus dem Gemeinschaftsverhältnis. Geht 
man davon aus, daß durch den Eintritt kein Gebiet erworben wurde, 
so muß man folgerichtig annehmen, daß durch den Austritt keines ver- 
loren geht. Diese Form der Kondominatsauflösung fällt mithin nicht 
unter Art. 2. Ob der darüber etwa abgeschlossene Staatsvertrag nach 
anderweiten und allgemeinen Grundsätzen — Art. 48 der Verf. — der 
Genehmigung des Landtags bedarf, ist hier nicht zu erörtern. 
8. Durch ein Gesetz. — Das heißt: durch einen Akt der gesetz- 
gebenden Gewalt, welcher in denselben Formen zustande zu bringen, zu 
erlassen und zu verkündigen ist wie jeder andere Akt der gesetzgebenden 
Gewalt: Art. 62, 45, 106. Gemeint ist die einfache Gesetzesform, nicht 
die qualifizierte Form des verfassungändernden Gesetzes (Art. 107), 
erstere ist ausreichend, letztere nicht erforderlich (Am Binding in seiner 
Textausgabe der preußischen Verfassung S. 6). Die Form des Gesetzes ist, 
wo immer sie durch die Verfassung angeordnet ist, unvertretbar; sie kann 
durch eine andere Form der Staatswillenserklärung nicht ersetzt werden. 
So auch hier. Die bloße formlose Genehmigung der Grenzveränderung 
durch den Landtag ist kein „Gesetz“ im Sinne der Verfassung; ob und in- 
wieweit sie vom parlamentarischen Standpunkt aus der Gesetzesform 
politisch gleichwertig ist, kommt nicht in Betracht. Für die staatsrechtliche 
Auslegung des Art. 2 ist es also nicht „fraglich“ (Arndt, Komm. S. 58), 
„wob der bloße Konsensus zwischen der Krone und der Landesvertretung 
genügt“, sondern es ist fraglos, daß dieser „bloße Konsensus“, gleichviel 
auch, ob er in der GS publiziert ist oder ob nicht einmal dies geschehen ist, 
dem unzweideutigen Wortlaut und Sinn des Art. 2 nicht genügt. Die 
Gebietsveränderung ist staatsrechtlich nicht gültig, wenn sie nicht durch 
die Legislative gutgeheißen und diese Gutheißung als Gesetz in der GS 
verkündet wird. Das Erfordernis der Gesetzesform gilt — vorbehaltlich allein 
der aus dem Reichsrecht folgenden Modifikationen (s. u. Nr. 12, S. 82) — 
ausnahmslos und ohne Unterschied des völkerrechtlichen Erwerbstitels, 
der causa des Grenzveränderungsgesetzes. Ob als causa in diesem 
Sinne ein Staatsvertrag oder Okkupation oder Eroberung erscheint, ist 
gleichgültig; der Weg der Gesetzgebung muß in allen Fällen beschritten 
werden. Dieser in der Wissenschaft herrschenden Meinung (val. Ernst 
Meier, Staatsverträge S. 250 ff., vRZ# 1 197 f., ebenso schon v. Roenne
	        
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