Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 2. Völkerrechtliche u. staatsrechtliche Gültigkeit der Grenzveränderung. 77 
handelt es sich meistens um unbedeutende Grenzregulierungen. Fast 
durchweg erscheinen die Grenzveränderungsgesetze als Willenserklärungen, 
welche einen voraufgegangenen, die näheren Bestimmungen enthaltenden 
Staatsvertrag sanktionieren; letzteres geschieht meist mit dem Tenor: 
„die Landesgrenze wird nach den Bestimmungen des anliegenden Staats- 
vertrags . verlegt“ (so z. B. Gesetze v. 8. Aug. O4, GS 2207; 27. Juli 05, 
GS 291; 6. März 05, GS 1906, 117; 12. Febr. 06, GS 385; 25. Aug. JT9, 
GS 780; 24. Sept. 10, GS 309; 6. Juni 11, GS 139); auch wohl: „der 
anliegende Staatsvertrag .. wird hierdurch genehmigt“ (so z. B. G vom 
16. Mai 02, GE 163). 
9. Die durch Art. 2 vorgeschriebene Gesetzesform bezieht sich auf 
die staatsrechtliche, nicht auf die völkerrechtliche Gültigkeit der Ge- 
bietsveränderung, insbesondere, bei Erwerbungen, nicht auf die Vor- 
nahme der völkerrechtlichen Akte und Rechtsgeschäfte (z. B. Verträge), 
welche das Recht Preußens auf ein Gebiet mit Wirkung gegenüber 
dem bisher dort herrschenden Staat und gegenüber dritten Staaten be- 
gründen, sondern auf die Einverleibung, die Aufrichtung und Einrichtung 
der preußischen Staatsgewalt in dem neuen Lande. Ersteres, der völker- 
rechtliche Erwerb, ist Gegenstand der auswärtigen Politik, mithin Sache 
dessen, dem diese Politik ausschließlich übertragen ist: des Königs. Die 
Bollmacht des Königs, den Staat anderen Staaten gegenüber zu ver- 
treten, ist nach außen durch die Verfassung nicht beschränkt, auch nicht 
durch Art. 2. Die Krone ist berechtigt und allein berufen, die auf Er- 
werb oder Abtretung von Staatsgebiet gerichteten Rechtshandlungen ein- 
zuleiten und vorzunehmen, sie ist bei Erwerbungen weiterhin auch für befugt 
zu erachten, von dem erworbenen Land Besitz zu ergreifen (unbestritten; 
val. Ber. des Zäussch der I. K. zu Art. 2, I. K. 642; Min. d. Inn. 
Graf Eulenburg und Abg. Twesten in der Sitzung des HdAbg, 
3. Febr. 66, Sten Ber 1866 Bd. I S. 62, 63, 76) und die zur Sicherung 
der preußischen Staatsherrschaft dienlichen Maßregeln vorläufig zu treffen. 
Die Begründung dieser Staatsherrschaft selbst aber, „der staatsrechtliche 
Abschluß der Sache“ (Twesten a. a. O.), bedarf der im Art. 2 vorgesehenen 
Willenserklärung der Legislative. Es ist die verfassungsmäßige Pflicht 
der Staatsregierung, das Ihrige dazu zu tun, um diese Willenserklärung 
herbeizuführen, also dem Landtage, geeignetenfalls schon vor Perfektion 
des völkerrechtlichen Erwerbsgeschäftes oder doch, wenn nachher, unter 
Vermeidung jedes durch die Umstände nicht gebotenen Aufschubs, einen 
die Vereinigung des erworbenen Landes mit dem preußischen Staate 
aussprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Das Verhältnis des völker- 
rechtlichen Erwerbs zur staatsrechtlichen Annexion ist mithin dieses: ersterer
	        
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