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wenn der Staat in Fällen des freien Ermessen der Verwaltungs-
behörden dem betreffenden Beamten nur den von BERNATZIK’
formulierten Imperativ zuruft: „Tue was du glaubst, dass es
durch das öffentliche Wohl bedingt ist“, so liegt darin gewiss
kein konkreter Befehl, sondern die Erklärung, einen solchen Be-
fehl nicht erteilen zu können oder zu wollen und das, was zu
tun oder zu unterlassen ist, von der eigenen Ansicht des Dienst-
pflichtigen abhängig zu machen. Dieser Erkenntnis verschliesst
sich auch JELLINEK selbst nicht, weshalb er neben der Gehor-
samspflicht eine selbständige „Pflicht zu zweckmässigem Handeln“
statuiert, die dem Gesagten zufolge mit der richtig verstandenen
Treupflicht vollkommen identisch ist. Es handelt sich also nur
‚um eine Aenderung im Ausdrucke, die aber keine Verbesserung
bedeutet; denn ein Beamter kann sich ebenso wenig verpflichten,
„zweckmässig“ zu handeln, wie. sich ein Künstler verpflichten
kann, „schöne“ Bilder zu malen oder ein Schriftsteller „geist-
reich“ zu schreiben. Das Recht wendet sich nur an den Willen;
aber der Erfolg hängt nicht vom Willen allein ab.
Es bedarf nun keiner weiteren Ausführung um einzusehen,
in wie mannigfacher Weise in jedem Dienstverhältnisse, insbe-
sondere aber im Verhältnis des Beamten zum Staate Wille und
Interesse, Gehorsamspflicht und Treupflicht miteinander verbun-
den sein können. Was man im gewöhnlichen Leben als relative
Abhängigkeit oder Unabhängigkeit einer dienstlichen Stellung
bezeichnet, ist nichts anderes als das Vorwalten des einen oder
des anderen jener beiden im Gegensatz zu einander stehenden
Momente. Und zwar ist hiefür weit weniger der Rang des
Beamten, als die Natur der Dienste entscheidend, die er zu
leisten hat. So ist beispielsweise das militärische Dienstver-
hältnis ebenso unverkennbar auf den durch die Befehle der Vor-
gesetzten vermittelten Staatswillen gestellt, wie im Dienst-
verhältnisse von Beamten, die den Staat diplomatisch zu ver-
4 Rechteprechung und materielle Rechtskraft 8. 46.