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den Händen hat: erst dann wird es ihr oft möglich sein,
zu überschauen, ob die Abfindung zu empfehlen ist oder nicht.
Das Alter des Abzufindenden, sein Gresundheitszustand, die Höhe
der Rente im Vergleich mit der in Aussicht genommenen Ab-
findungssumme, der Zweck, zu welchem der Bezugsberechtigte
die Summe verwenden zu wollen erklärt, seine Familienverhält-
nisse, sein Leumund — das alles sind Fragen, deren Beachtung
die mit der Sachlage am nächsten in Berührung stehende Amts-
stelle besser zu bewirken vermag, als die meistens entfernt in
einer grossen Stadt befindliche Berufsgenossenschaft. Es ist zu
bedauern, dass diese Erwägungen nicht dazu geführt haben, die
erschöpfende Erörterung des Falles in einer mündlichen Ver-
handlung vor der unteren Verwaltungsbehörde unter Ladung
des Bezugsberechtigten ausdrücklich vorzuschreiben. Man ist
auf halbem Wege stehen geblieben und hat nur die Möglich-
keit geschaffen, dass die Interessen der Versicherten, der Armen-
pflege und der Gesamtheit richtig gewahrt werden, die Aus-
führung aber hängt sehr von der persönlichen Entschliessung
der beteiligten Beamten und ihrer ganzen Stellung zu sozial-
politischen Fragen ab. Wer in der gutachtlichen Aeusserung
und in der Befragung des Abzufindenden nur eine lästige Form
sieht, der wird sich nicht die Mühe geben, so gründlich und sach-
gemäss die Vorarbeiten zu erledigen, wie dies vorstehend empfoh-
len ist. Tatsächlich gehen denn auch manche Dienststellen
ziemlich rasch über die Sache hinweg. Eine Anzahl der Be-
rufsgenossenschaften stellt die Vereinfachung, die durch die Ab-
findung entsteht, in den Vordergrund und hat den Versuch ge-
macht, fast alle Renten bis zu 15 v. H. abzulösen, bis das
Reichsversicherungsamt! mit nicht misszuverstehenden Aus-
drücken diesem dem Geiste des Gesetzes widersprechenden Ver-
fahren entgegengetreten ist. Immerhin beschränkt man sich
häufig darauf, dem Bezugsberechtigten durch eine gedruckte Mit-
! Amtliche Nachrichten 1901, 8. 899, Nr. 1865.