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andern Gelegenheit VINCKE geäussert. In seinem Gutachten er-
örtert er die Gesichtspunkte, nach denen die Städte in Unter-
abteilungen gegliedert werden könnten, und verwirft als solche
die Kirchspiele, indem er ausführt: „Es gibt in den Städten,
zumal in den grösseren, Menschen des verschiedensten Glaubens,
sehr viele ohne irgendeinen Glauben; der preussische Staat aber
gewährt allen die gleichen bürgerlichen Rechte; .... die Kirche
ist daher schon jetzt, wie viel mehr wenn, so wie bisher fort-
schreitend nach etwa 25 Jahren, niemand mehr um die Kirche
sich bekümmert, ein unpassendes Fundament ihrer bürgerlichen
Zusammenfügung“ (vgl. E. MEIER 8. 280). Andre Männer der
Reform mochten über die kirchliche Zukunft anders denken.
Vor allem war STEIN selbst gerade in diesem Punkte nicht ganz
kapitelfest; der Mann der göttlichen Rücksichtslosigkeit behan-
delte von allen Mächten des Alten einzig die Kirche mit fast
zärtlicher Rücksicht. Zudem arbeitete man bereits an dem Ent-
wurfe eines umfassenden Schulgesetzes, der eine gewisse Ver-
bindung mit der Kirche aufrecht erhielt, wie auch die oberste
Leitung der Unterrichts- mit der Kultusverwaltung verbunden
bleiben sollte; vielleicht ist hieran die schon von STEIN beab-
sichtigte Berufung WILHELM HUMBOLDTs an die Spitze des
preussischen Unterrichtswesens damals zunächst gescheitert (vgl.
M. LEHMANN, STEIN DO. S. 540).
Dass man die Verabschiedung der St.O. von diesen kirchen-
politischen Problemen entlasten wollte, wird nun noch verständ-
licher, wenn wir den gewaltigen Drang zur Eile berücksichtigen,
unter dem die St.O. abgeschlossen werden musste. Der ver-
hängnisvolle Brief STEINS an WITTGENSTEIN war abgefangen
und im Moniteur veröffentlicht; der Sturz’ des grossen Reforma-
tors schon besiegelt. Wenn er trotz mancher harten Anfech-
tung noch im Amte blieb, so leitete ihn die Erwägung, „dass
die Beratung wichtiger Reformgesetze, vor allem der Städte-
ordnung; eben ‚im Gange war; sie unter Dach und Fach zu