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Lässt man auch den Strafrichter über das Vorhandensein dieser
Voraussetzungen entscheiden und damit über Materien, die seiner
sonstigen Tätigkeit durchaus fern liegen, so wird. es zweifellos zu
widersprechenden Entscheidungen zwischen den Verwaltungsbe-
hörden und dem Reichstage einerseits und den Strafgerichten
andrerseits kommen. „Es kann aber nicht die Absicht des Ge-
setzes sein — sagt der 3. Strafsenat des Reichsgerichts in der
jetzt aufgehobenen Entscheidung Bd. 21 S. 414 — über die für
die Feststellung und Prüfung der Wählerliste vorgeschriebenen
Garantien hinaus den einzelnen Wähler mit einer selbständigen
Nachprüfungspflicht des ihm in den Listen eingeräumten Wahl-
rechtes oder mit einer Pflicht der Anzeige seiner ihm gegen die
Eintragung entgegengetretenen Zweifel zu belasten. Vielmehr
wird davon auszugehen sein, dass jeder ordnungsgemäss in die
Listen eingetragene Wähler sich als berufen ansehen kann, sein
Wahlrecht listengemäss an der Urne auszuüben, und die Sorge,
ob seine Stimme als gültig mitzuzählen ist, ihn nicht zu behelligen
braucht. Der entgegengesetzte Standpunkt -- fährt der Senat fort
— (und dieser entgegengesetzte Standpunkt, den der 3. Straf-
senat damals ausdrücklich reprobierte, wird jetzt vom Reichsge-
richt eingenommen) würde mit Notwendigkeit dahin führen, dass
jeder in Gemässheit des $3 oder $ 7 des Wahlgesetzes materiell
von der Berechtigung zum Wählen ausgeschlossene, versehent-
lich aber doch in die Wählerlisten eingetragene Wähler mit der
Strafe des $ 108 St.G.B. zu belegen sei, sobald er sich auch
nur im Zweifel darüber befunden, ob nicht eine Kuratel, ein
Konkursverfahren, eine strafgerichtliche Interdiktion noch unbe-
endet über ihm schwebe, ob sein Wohnsitz diesem oder jenem
Wahlbezirk zuzuzählen sei u. dgl. mehr, und er, mit dölus even-
tualis handelnd, auf die Gefahr hin, diese Fragen würden gegen
ihn entschieden, mitgestimmt hat.“ Bereits jetzt sind Urteile von
Strafkammern ergangen, die den Begriff „Wohnsitz“ im Sinne des
8 7 des Wahlgesetzes durchaus anders und enger auslegen, als
dies der Reichstag bisher getan hat. Jemehr Entscheidungen der
Strafgerichte auf diesem staatsrechtlichen Gebiet ergehen, um so
mehr Konflikte werden sich ergeben, und um so gefahrvoller