Full text: Archiv für öffentliches Recht. Zwanzigster Band. (20)

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Lässt man auch den Strafrichter über das Vorhandensein dieser 
Voraussetzungen entscheiden und damit über Materien, die seiner 
sonstigen Tätigkeit durchaus fern liegen, so wird. es zweifellos zu 
widersprechenden Entscheidungen zwischen den Verwaltungsbe- 
hörden und dem Reichstage einerseits und den Strafgerichten 
andrerseits kommen. „Es kann aber nicht die Absicht des Ge- 
setzes sein — sagt der 3. Strafsenat des Reichsgerichts in der 
jetzt aufgehobenen Entscheidung Bd. 21 S. 414 — über die für 
die Feststellung und Prüfung der Wählerliste vorgeschriebenen 
Garantien hinaus den einzelnen Wähler mit einer selbständigen 
Nachprüfungspflicht des ihm in den Listen eingeräumten Wahl- 
rechtes oder mit einer Pflicht der Anzeige seiner ihm gegen die 
Eintragung entgegengetretenen Zweifel zu belasten. Vielmehr 
wird davon auszugehen sein, dass jeder ordnungsgemäss in die 
Listen eingetragene Wähler sich als berufen ansehen kann, sein 
Wahlrecht listengemäss an der Urne auszuüben, und die Sorge, 
ob seine Stimme als gültig mitzuzählen ist, ihn nicht zu behelligen 
braucht. Der entgegengesetzte Standpunkt -- fährt der Senat fort 
— (und dieser entgegengesetzte Standpunkt, den der 3. Straf- 
senat damals ausdrücklich reprobierte, wird jetzt vom Reichsge- 
richt eingenommen) würde mit Notwendigkeit dahin führen, dass 
jeder in Gemässheit des $3 oder $ 7 des Wahlgesetzes materiell 
von der Berechtigung zum Wählen ausgeschlossene, versehent- 
lich aber doch in die Wählerlisten eingetragene Wähler mit der 
Strafe des $ 108 St.G.B. zu belegen sei, sobald er sich auch 
nur im Zweifel darüber befunden, ob nicht eine Kuratel, ein 
Konkursverfahren, eine strafgerichtliche Interdiktion noch unbe- 
endet über ihm schwebe, ob sein Wohnsitz diesem oder jenem 
Wahlbezirk zuzuzählen sei u. dgl. mehr, und er, mit dölus even- 
tualis handelnd, auf die Gefahr hin, diese Fragen würden gegen 
ihn entschieden, mitgestimmt hat.“ Bereits jetzt sind Urteile von 
Strafkammern ergangen, die den Begriff „Wohnsitz“ im Sinne des 
8 7 des Wahlgesetzes durchaus anders und enger auslegen, als 
dies der Reichstag bisher getan hat. Jemehr Entscheidungen der 
Strafgerichte auf diesem staatsrechtlichen Gebiet ergehen, um so 
mehr Konflikte werden sich ergeben, und um so gefahrvoller
	        
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