Full text: Archiv für öffentliches Recht. Zwanzigster Band. (20)

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dessen bestreitet er den Gliedstaaten der Bundesstaaten, den einem Suzerain 
oder Protektorat unterworfenen Staaten, den autonomen Kolonialstaaten 
u. s. w. den Charakter der Staaten sowohl im staatsrechtlichen als im völ- 
kerrechtlichen Sinne. Diese schon so oft und vielfach erörterte Kontroverse 
kann bei Gelegenheit dieser Besprechung nicht von neuem wieder aufge- 
rollt werden, ohne dass aus dieser Anzeige eine Monographie entstehen 
würde, zu welcher ein wissenschaftliches Bedürfnis. wohl nicht vorhanden 
ist. Da in Frankreich grade der streng unitarische, ausschliesslich und mit 
unbeschränkter Gewalt herrschende Einheitsstaat seit Jahrhunderten aus- 
geprägt ist, so ist es begreiflich, dass französischen Gelehrten der Gedanke 
eines nichtsouveränen, einer höheren politischen Ordnung eingefügten Staates 
unsympathisch und schwer fassbar ist. Würde der Verf. einige-Zeit in dem 
politischen Leben Deutschlands stehen, so würde er sich bald überzeugen, 
dass Preussen, Bayern, Sachsen u. s. w. nicht bloss aus historischer Remi- 
niszenz und Kourtoisie als Staaten bezeichne-t werden, sondern dass sie 
von Gemeinden und anderen Kommunalverbänden wesentlich verschieden, 
dagegen dem Reich und den Einheitsstaaten wesensgleich sind, und 
dass das feste staatliche Gefüge Preussens und der anderen Gliedstaaten 
das Fundament ist, auf dem der Bau des Reiches ruht und ihm nach aussen 
und innen Macht, Ansehen und Kredit verschafft. Der Verf. erhebt gegen 
die in Deutschland herrschende Ansicht , dass es nichtsouveräne Staaten 
gebe, den Vorwurf, dass sie in der vorgefassten Tendenz aufgestellt wor- 
den sei, um die Bundesglieder des Reichs als Staaten zu charakterisieren. 
Das ist in gewissem Sinne richtig; aber kein Vorwurf. Wer in Deutsch- 
land in jedem Moment und in tausendfältigen Erscheinungen die Wahr- 
nehmung macht, dass die Glieder des Reichs zwar dem Reich untergeordnet, 
aber mit eigener, auf sich selbst ruhender Herrschermacht über Volk und 
Gebiet ausgestattet sind und alle staalichen Funktionen selbständig aus- 
üben, der hat in der Tat nur die Wahl, entweder einem hergebrachten, 
vom Einheitsstaat abstrahierten, doktrinären Begriff zu Liebe sich mit der 
Wirklichkeit in Konflikt zu setzen und z. B. zu behaupten, dass Preussen 
und Bayern keine Staaten, sondern nur Kommunalverbände sind — oder 
'nach Massgabe der tatsächlichen Erscheinungen jenen Begriff zu revidieren 
und zu berichtigen. Ich habe kein Bedenken, der letzteren Methode den 
Vorzug zu geben und die Rechtsbegriffe nach dem jus quod est zu bilden; 
nur darf man nicht, wie dies freilich oft genug geschieht, hergebrachte und 
verbreitete Rechtstheorien, doktrinäre Vorstellungen, politische Schlag- 
worte u. dgl. mit dem wirklich bestehenden Recht selbst identifizieren und 
eine Berichtigung dieser Vorstellungen, weil sie neu ist und eingewurzelten 
Irrtümern entgegentritt, als doktrinär oder formalistisch abweisen. Wenn 
der Verf. den Gliedstaaten des Reichs den Staatscharakter bestreitet, weil 
sie nicht das Recht über Krieg und Frieden haben, nicht aus eigener Macht 
ihre Existenz und Unabhängigkeit behaupten können, keine selbständige
	        
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