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Handelspolitik der Zucker aus- und einführenden Staaten, der Kolonien unter
einander, gegen das Mutterland und gegen das Ausland. Auch das vielleicht
schwerste wirtschafts: und rechtspolitische Problem der Gegenwart, das der
Syndikate, Kartelle und Trusts mit ihrer von der staatlichen Wirtschafts-
politik grossgezogenen, sie aber mehr und mehr überwuchernden Macht
spielt bedeutungsvoll hinein. Und das Endergebnis aller Massregeln „na-
tionaler Wirtschaftspolitik“ war, dass im Januar 1900 der Preis des rafhi-
nierten Zuckers in Magdeburg, dem Hauptort des deutschen Zuckergebiets,
46!/2 M. pro 100 kg betrug, während gleichzeitig derselbe Zucker in London
22 M. kostete; und um dieses erfreuliche Resultat zu erreichen, hatte das
deutsche Reich den Ertrag seiner Zuckersteuer ruiniert! In Frankreich be-
trugen die Preise rund 104 Fr. für das Inland, 30 Fr. für das Ausland. Es
entsprach diesen Preisverhältnissen, dass sich der Zuckerkonsum pro Kopf
der Bevölkerung in den Produktionsländern auf 17,6 # in Oesterreich
33, 9 @ in Deutschland, 37 & in Frankreich; dagegen in dem keinen Zucker
produzierenden, aber auch keine „nationale Wirtschaftspolitik* treibenden
England auf 91,6 ® stellte.
Gerade England aber, dessen Konsuminteresse in so unnatürlicher Weise
durch die Wirtschaftspolitik der kontinentalen Produktionsstaaten begünstigt
wurde, wirkte entscheidend auf die Peripetie dieser Entwicklung hin; ihn
ist es zum grössten Teile zu danken, dass nach dem unleugbaren Bankerott
der nationalen Gesetzgebung und Verwaltung auf diesem Gebiete der allein
mögliche Weg internationaler Rechtsbildung beschritten, und nach manchen
vergeblichen Versuchen der Erfolg der Brüsseler Konvention erreicht wurde.
Dies erklärt sich zunächst daraus, dass England die Existenz seiner Zucker-
raffinerien und seiner kolonialen Rohrzuckerindustrien gegen die Vernich-
tung durch die hypertrophische Prämienpolitik der kontinentalen Staaten
schützen musste. Für die Konsumenten waren freilich die Wirkungen der
Brüsseler Konvention unmittelbar ebendo ungünstig in England, wie günstig
in den andern Verbandsstaaten ; denn die internationalrechtliche Beschrän-
kung der Zoll- und Prämienpolitik musste in allen Verbandsstaaten auf eine
Annäherung derZuckerpreise an das natürliche Preisniveau hinwirken; das
bedeutete aber überall sonst eine erhebliche Verbilligung, nur in. England
eine Verteuerung. Trotzdem wäre eine hartnäckige Ablehnung der inter-
nationalen Sanierung der Zuckerpolitik sogar vom Standpunkte der eng-
lischen Konsumenten aus eine unverantwortliche Kurzsichtigkeit gewesen,
wie KAUFMANN treffend hervorhebt; denn man hätte damit um eines.augen-
blicklichen künstlichen Vorteils willen die grösste Gefahr aller Konsumin-
teressen, die internationale Monopoltendenz der durch Zölle und Kartelle
überinächtig gewordenen Grossindustrien gestärkt.
Damit ist der springende Punkt berührt, von dem aus die Rechtsge-
schichte des Zuckers nur als lehrreiches Demonstrationsbeispiel für allge-
meine Gedankengänge erscheint. Die entscheidende Instanz für unser heu-