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Wir sehen also, dass GERBER, der gewöhnlich als Begründer
der modernen, von ällen patrimoniälen Elementen gereinigten
Eigentumstheorie bezeichnet wird, mindestens mit dem gleichen
Rechte für die Eigenschaftstheorie in Anspruch genommen
werden kann. Neben der Auffassung des Gebietes als Objekt
des staatsrechtlichen Sachenrechts steht ganz unvermittelt die
als Attribut oder körperliche Qualität des Staates, ja diese letz-
tere Auffassung wird bis in ihre äussersten und absurdesten Kon-
sequenzen verfolgt. Wer in der (unentgeltlichen) Veräusserung
auch des kleinsten Gebietsteiles schon eine Selbstvernichtung des
Staates erblickt, kann doch unmöglich für einen ernsthaften An-
hänger der Eigentumstheorie gelten! Der Fortschritt, den GERBERS
Theorie bedeutet, liegt also gewiss nicht in ihren positiven Ge-
danken, sondern in der energischen Zurückweisung jener älteren
Ansicht, wonach die Gebietshoheit ein Konglomerat von Rechten
ist, die direkt oder indirekt den Grund und Boden zum prak-
tischen Objekt haben.
Als wissenschaftlicher Antipode GERBERs wird gewöhnlich
FRICKER bezeichnet. In seiner Schrift „Vom Staatsgebiet“ sieht
er das Gebiet einmal als ein „Moment im Wesen des Staates“,
ein andres Mal als den Staat selbst in seiner räumlichen Be-
grenzung an. (Ausserdem findet sich noch der offenbar verfehlte
Ausdruck: (febiet = räumliche Grenze (!) des staatlichen Wil-
lens.) Eine Aenderung des Gebietes sei eine Aenderung des
Staates‘ selbst. Die Eigentumstheorie wird von FRICKER ent-
schieden abgelehnt, weil die Sache dem Subjekt gänzlich fremd
und äusserlich sei und an seinem Wesen keinen Teil nehme,
weil zwischen Subjekt und Sache keine organische Verbindung,
sondern nur ein mechanisches und einseitig bewirktes Verhältnis
bestehe.
Der Gegensatz zwischen GERBER und FRICKER ist demnach
nur ein relativer. FRICKERs Verdienst besteht darin, dass er die
Unvereinbarkeit der Eigentums- und der Eigenschafts-Theorie
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