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a. So ist es zwar juristisch wenig bedenklich, sozialpolitisch
sogar einwandsfrei, wenn die elsass-lothringischen Gewerbegerichte,
denen die Tätigkeit des Einigungsamts nicht zusteht, in aus-
dehnender Gesetzesauslegung das nach $ 18 des Gesetzes vom
23. März 1880 zur gütlichen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten
eingesetzte, also lediglich zivilistischen Zwecken bestimmte
„Vergleichsamt“ auch dazu benutzen, um die im $ 62 des Gew.-
Ger.Ges. bezeichnete sozialpolitische Aufgabe zu erfüllen,
Interessenstreitigkeiten, bei denen vornehmlich mit den Macht-
mitteln der Aussperrung und des Ausstandes gekämpft wird, zu
schlichten.
b. Geradezu unzulässig ist es aber, wenn jene Fach-Gewerbe-
gerichte, sei es aus sich oder infolge Vereinbarung des Gerichts-
standes durch die Parteien, auch in Streitigkeiten von Parteien,
die den ihrer Gerichtsbarkeit nicht unterworfenen Fabrikations-
und Gewerbezweigen angehören, als Gerichte verhandeln und
Recht sprechen. Denn sie haben als Sondergerichte nur soviel
Gerichtsbarkeit, als ihnen gesetzlich zugewiesen ist; darüber hin-
aus sind sie keine Gerichte. Ihr Verfahren in Sachen, für die
ihnen die Zuständigkeit fehlt, ist nichtig, ihre Urteile sind Schein-
urteile, die einer anderweiten Verhandlung und Entscheidung
der Sache durch das zuständige Gericht nicht entgegenstehen !.
Grerade mit Bezug auf derartige Ueberschreitungen ihrer be-
schränkten Zuständigkeit durch die elsass-lothringischen Gewerbe-
gerichte hat das Oberlandesgericht in Colmar durch Urteil vom
10. Dezember 1897 ® grundsätzlich ausgesprochen,
die Bestimmung des $ 13 des Gerichtsverfassungsgesetzes,
nach welcher alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, für welche
nicht besondere Gerichte zugelassen sind, vor die ordentlichen
Gerichte gehören, könne entsprechend dem Wesen der Sonder-
ı BEweER, Soziale Praxis 13, 1341 und dort die Literatur; a. M. SoHAL-
HORN in Sozialer Praxis 14, 130.
? Jurist, Zeitschr. f. Elsass-Lothringen 23, 200.