— 396 —
dass die Staatsgewalt keine ursprüngliche Geschlossenheit und
Ganzheit aufweist. Sie ist vielmehr, namentlich im modernen
Staate, die Zusammenfassung mehrerer Macht- und Gewalter-
scheinungen, die von einer Mehrzahl von Behörden ausgehen.
Nicht das Ganze der Staatsgewalt ist das Ursprüngliche und die
allfällige Teilung ein nachgehender Vorgang, sondern umgekehrt
sind die Einzelgewalten, die einzelnen Machtentfaltungen, aus-
gehend von den einzelnen Staatsbehörden, das Ursprüngliche und
die begriffliche Zusammenfassung das Sekundäre, Der konkrete
Inhalt der Staatsgewalt ist der zusammengefässte Inhalt sämt-
licher von den Staatsbehörden ausgehenden Machtentfaltungen
in dem betreffenden Staate. Danach erledigt sich auch die Frage,
ob die Staatsgewalt begrifflich teilbar sei. Da die Staatsgewalt
die Zusammenfassung von einzelnen Gewalten ist; einen Kollek-
tivbegriff darstellt, so lässt sie sich auch wieder in so viele Ein-
zelgewalten zerlegen, als man besondere Arten von Funktionsaus-
übungen der Staatsbehörden in einem konkreten Staate kennt.
Es darf übrigens gesagt werden, dass der Begriff der Staats-
gewalt nicht die Bedeutung hat, die man allgemein anzunehmen
scheint. Zunächst ist der Begriff von Haus. aus ein rein poli-
tischer; er diente auf der einen Seite dazu, das Recht des Mo-
narchen auf seine Stellung politisch zu begründen, indem man
die Unwiderruflichkeit annahm; anderseits wurde der gleiche Be-
griff der Staatsgewalt wieder verwendet, um politisch zu bewei-
sen, dass ein Recht des Volkes auf Zurücknahme der Gewalt
bestehe u. s. w. Sodann gehört der Begriff mehr einer naiven,
vulgären Auffassung an, welche das Aeussere, das Rohe, die
‚blosse Begleiterscheinung als das Wesentliche ansieht. Es ist
bei eingehender Betrachtung gewiss sicher, dass sich die haupt-
sächlichsten:. und wichtigsten Funktionen staatlicher Behörden
ohne Gewalterscheinungen, ohne äussere Kraftanwendungen voll-
ziehen; man denke namentlich an die Gesetzgebung und die
Rechtsprechung. Bloss die niederen Funktionen entfalten sich