— 409 —
gleichwertigen Ausdruck bei allen Kulturvölkern und zu allen
Zeiten an. Es gab und gibt Staaten; die juristische Betrachtung
darf sich nicht dabei beruhigen, einfach den Begriff als histori-
schen zu übernehmen, sondern wird sich fragen müssen, was ein
Staat im Rechtssinne, nach seinen formalen Erscheinungen be-
urteilt, sei» Wenn BIERLING hervorhebt, dass für das Völker-
recht ausschliesslich die rechtliche Anerkennung als Staat ent-
scheide, so muss er doch gewiss zugestehen, dass diese wechsel-
seitige Anerkennung, die selbst Rechtsbegriff ist, aufirgend welchen
entscheidenden Merkmalen beruht, die den Staat von solchen
Gremeinwesen, die nicht als Staaten anerkannt werden, also nicht
Staaten sind, unterscheiden. Der juristische Begriff des Staates
ist ein solcher der vergleichenden Rechtswissenschaft und nicht
derjenige eines positiven staatlichen Rechts. Man vergleicht
diejenigen Gemeinwesen miteinander, von denen es feststeht, dass
sie Staaten waren oder sind, hebt die gemeinsamen Merkmale
und die Unterscheidungsmerkmale gegenüber Gemeinwesen, die
historisch nicht als Staaten betrachtet werden, hervor. Es kann
sich allerdings fragen, ob die vergleichende Rechtswissenschaft
fähig sei, Rechtsbegriffe zu formulieren. Wenn man die Rechts-
begriffe ausschliesslich nur auf dem Boden eines konkreten posi-
tiven Rechts als möglich erklärt, so.wäre ein Rechtsbegrifi des
Staates nur insoweit zulässig, als er auf dem Völkerrecht als
konkretem positivem Rechte beruht. Der völkerrechtliche Begriff
des Staates ist jedenfalls zu bejahen. Die wissenschaftliche Be-
arbeitung des Völkerrechts wird sich die Frage vorlegen müssen,
welcher Natur der Verband sei, der mit der Prätension, als Staat
zu gelten, auf dem Gebiete des Völkerrechts auftritt. Die Völker-
rechtswissenschaft wird aber dabei vergleichend vorgehen müssen,
um die gemeinsamen und unterscheidenden Merkmale festzustellen.
Dass es für das innere Recht eines Staates wesentlich nur. darauf
ankomme, was es selbst als Staat ansehe, kann nur soweit richtig
sein, als es dem innern Rechte freisteht, ein besonderes staats-
Archiv für öffentliches Recht. XX. 3. 97