Full text: Archiv für öffentliches Recht. Zwanzigster Band. (20)

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Unter den Grundrechten des Preussen figuriert nun auch 
das Versammlungsrecht. Denn nach Art. 29 Abs. 1 der Ver- 
fassung sind alle Preussen berechtigt, sich ohne vorgängige obrig- 
keitliche Erlaubnis friedlich und ohne Waffen in geschlossenen 
Räumen zu versammeln. Nach Art. 30 Abs.2 soll die Ausübung 
des Versammlungsrechts durch besonderes Gesetz geregelt wer- 
den. Diese letztere Bestimmung hat also, obgleich dazu bei dem 
eben konstatierten Wesen des Grundrechtes eine eigentliche Not- 
wendigkeit nicht einmal vorlag, doch noch ausdrücklich festge- 
stellt, dass eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit nur auf 
dem Wege gesetzlicher Norm möglich sei . 
Ein solches Gesetz nun, das sich allerdings inkorrekter Weise 
Verordnung nennt, ist kurz nach Erlass der Verfassung, nämlich 
am 11. März 1850 ergangen”. Diese „Verordnung“ wurde mit 
Zustimmung der Volksvertretung erlassen, um Art. 30 Als. 2 
der Verfassung auszuführen und insbesondere die Gefahren hint- 
anzuhalten, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit 
aus der Vereins- und Versammlungsfreiheit erwachsen können. 
Zu diesem Behufe müssten den zuständigen Polizeibehörden ge- 
wisse Aufsichts- und Ueberwachungsrechte eingeräumt werden. 
Bezüglich solcher Versammlungen, in denen öffentliche Angele- 
genheiten erörtert oder beraten werden sollen, ist das in dop- 
pelter Weise geschehen. Denn $ 1 des Gesetzes bestimmt, dass 
der Unternehmer einer ‚derartigen Versammlung ihr Stattfind«n 
 Ges.Sammig. S. 277 ft. 
% Damit erscheint bereits die Ansicht des Regierungskommissars in 
dem Prozesse von 1876 (s. oben S. 8) und die damit übereinstimmende 
Meinung ZoRNS (a. a. O. Bd. 10 8. 7) widerlegt, wonach die Verfassung 
über die preussische Staatssprache nur deshalb geschwiegen haben soll, weil 
sie für selbstverständlich hielt, dass auch in politischen Versammlungen 
nur deutsch gesprochen werden dürfe. Selbstverständlich war damals nur, 
dass die Geschäftssprache Preussens deutsch sei; dass aber Versammlungs- 
sprache und Geschäftsesprache identisch seien, ist eine bisher von der Wis- 
senschaft noch nicht akzeptierte Ansicht. Vgl. unten S, 44 ff.
	        
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