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Das Reichsgesetz betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben vom
30. März 19038, systematisch dargestellt nebst Ausführungsbestimmungen aus
dem Reich, den Königreichen Preussen, Bayern und Sachsen, sowie der
Thüringischen Staaten von H. FiInDEISEN, Rechtsanwalt. Leipzig 1904.
Duncker u. Humblot, Preis 2 M. 40 Pfg.
Eine der traurigsten Kehrseiten unseres industriellen Fortschrittes ist
die Ausbeutung der Kinder, die sich volkswirtschaftlich als vernichtender
Raubbau an unserer Volkskraft darstellt. Beschäftigung von Kindern im
Alter von 4 Jahren in Bergwerken unter Tage, wie sie in England zu An-
fang des vorigen Jahrhunderts vorkam, würde man nicht für glaubhaft hal-
ten, wenn sie nicht durch amtliche Berichte festgestellt wäre. Es ist des-
halb begreiflich, dass die auf ihre soziale Pflicht sich besinnende staatliche
Gesetzgebung gerade hier zuerst einsetzte. England erliess 1802, Frank-
reich 1813 die ersten Gesetze, welche die Einschränkung der Kinderarbeit
bezweckten. In Preussen stammt die erste Massnahme dieser Art aus dem
Jahre 1839. Aber auch nachdem die Reichsgewerbeordnung mit ihren zahl-
reichen Novellen auf dem Gebiete der Fabrik- und Werkstättenarbeit we-
sentliche Besserung geschaffen hatte, blieb noch ein grosses Mass des alten
Uebels aufbewahrt in der Hausindustrie, in die einzugreifen man eich bis-
her gescheut hatte aus dem prinzipiellen Grunde, weil die Heiligkeit des
Hauses vor der störenden Tätigkeit der Polizei geschützt hleiben müsse.
Es ist das nicht hoch genug zu schätzende Verdienst des Lehrers Agahd in
RBixdorf, durch das in seinem Buche über die Kinderarbeit zusammenge-
stellte grösstenteils durch eigene Tätigkeit gewonnene schwer belastende
Tatsachenmaterial dieses Vorurteil besiegt und die öffentliche Meinung
davon überzeugt zu haben, dass das Erziehungsrecht der Eltern seine Schran-
ken findet an dem Rechte der Kinder, wirklich erzogen und nicht zum Ge-
genstande der Ausbeutung gemacht zu werden. Das Gesetz vom 30. März
1908 ist eine der wertvollsten Kulturtaten des neuen Jahrhunderts.
Es. ist deshalb mit Freuden zu begrüssen, dass der Verfasser es über-
nommen hat, dessen Inhalt durch eine allgemein verständliche Form der
Bearbeitung dem Verständnisse gerade derjenigen Klassen näher zu bringen,
die durch dasselbe in erster Linie betroffen werden, nämlich den industriel-
len Kreisen. Nach einer Bemerkung im Vorwort ist die Anregung zu der
Arbeit von ihnen ausgegangen, und ihren Zwecken soll das Buch vorwie-
gend dienen.
In der Einleitung wird zunächst die geschichtliche Entwicklung nicht
allein des jetzigen Gesetzes in seinen verschiedenen Stadien, sondern auch
der Arbeiterschutzgesetzgebung überhaupt geschildert. Die einschlägigen
preussischen Vorschriften, insbesondere die Gewerbeordnung vom 17. Januar
1845, die Reichsgewerbeordnung vom 21. Juni 1869 und die Novellen vom
17. Juli 1878, 1. Juli 1883, 1. Juni 1891, 6. August 1896 und 30. Juni 1900
werden kurz beleuchtet, um an ihnen zu zeigen, wie die Gesetzgebung in