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seine Lande, das heisst in die Werkstätte seines Schaffens gehen. Freilich
können die Ergebnisse eines -solchen Eingehens und Mitdenkens auch bei
liberalster Raumzuweisung nicht ziffermässig erkennbar auf die Tafel ge-
bracht werden; das kann nur in Anlehnung und Ablehnung im Stromlauf
der gunzen folgenden literarischen Facharbeit erreicht werden. So einfach
wie gegenüber einer in ihrem Schaffensziel genau bestimmten Monographie
ist die Stellung der literarischen Kritik in solchem Falle nicht. Hier gilt
es das im Aufbau, im Grundplan gelungene Werk, das den zeitlichen Re-
kord der Lebre um ein gut Stück vorwärts bringt, en bloc anzunehmen,
— oder, wenn jene Voraussetzungen nicht geboten worden — en bloc ab-
zulebnen. In beiden Fällen kann es natürlich an „Vorbehaltsgut“ nicht feh-
len, das nicht dem vorherrschenden Urteil unterliegt, das sich aus der
senden Wertrelation zwischen dem Teil und dem Ganzen ergibt.
Das gilt denn auch von dem grossen mit echt-englischer Opulenz und
gewinnender Ausstattung bedachten zweibändigen Werk des frühern deut-
schen akademischen Lehrers, der nunmehr an neuer Stätte einen umfas-
senden Wirkungskreis gewonnen hat.
Im englischen Sprachgebiet nimmt es erfolgreich den Kampf zu gun-
stensystematischerGeschlossenheit des darzustellenden Stoffes
auf und wird dadurch vorbildlich wirken für die künftige wissenschaftliche
Pflege der Lehre. Es wird drüben in Zukunft weniger die Rede sein von
„naturrechtlichen* und „vernunftrechtlichen* Postulaten, von der „reason“
als Rechtsquelle, von der „Gebietssouverainetät* und von anderen schwer
vollziehbaren „Grundbegriffen“ des Völkerrechts. OPPENHEIM hat mit kräf-
tigem Griffe der fachwissenschaftlichen Produktion in englischer Sprache
die Bahnen der systematischen Einheit gewiesen, die planmässige Auf-
teilung der Materie so überzeugend durchgeführt, dass das von ihm darge-
botene Ordnungsprinzip der gesamten künftigen englischen Literatur nicht
mehr verloren gehen kann. In diesermethodischenReform erblicke
ich den bleibenden hohen Wert des OPPENnHEIMschen Treatise. Ich lasse
dabei den Einwand nicht gelten, dass auch für den Aufbau der Systematik
eines Wissensgebietes, wie es das stofflich so spröde Völkerrecht ist, das
Wort zutrifft: — die Verheissung gilt uns mehr als die Erfüllung. Gewiss
leidet auch nach meinem Empfinden OppEnHEIMs Werk an. dem recht häufig
hervortretenden Mangel des Ebenmasses, der überreichlichen Häufung des
in Form gebrachten Stoffes an der einen, und der ungenügenden Knappbeit
an anderen Stellen. Der ganze die internationale Friedons-, Wirtschafts-
und Verkehrsordnung gestaltende Stoff ist — die weitausgreifende Litera-
turgeschichte und Bibliograpbie abgerechnet — nur knapp ebenso gross
wie die Darstellung des modernen Kriegsrechts. Auch die kühnste Verwer-
tung des HrrBARTschen Satzes von der „Unlust am Streit“ zur rechtephi-
losophischen Fundierung des heutigen Völkerrechts rechtfertigt diese un-
gleiche Bewertung der verkehrsgestaltenden, schöpferischen und der