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den Reichsrichter, soweit er als Revisionsrichter tätig ist, auch
nicht, wie das WEISMANN tut, damit begründen, daß man sagt,
es werde hier ein nicht dem Reich, sondern dem betreffenden
Bundesstaat zustehender Strafanspruch geltend gemacht. Selbst
wenn dies richtig wäre, würde dies gar nichts beweisen, denn es
dreht sich hier nicht um die Frage, wem der Strafanspruch zu-
steht und wer das Strafverfolgungsrecht besitzt, sondern darum,
unter welchen Voraussetzungen es geltend zu machen ist.
Noch viel weniger aber treffen die Erwägungen, die WEIS-
MANN für den Fall anstellt, in dem das Reichsgericht als erste
Instanz tätig ist (Hoch- und Landesverrat) zu. Wenn er bier die
Notwendigkeit der Beachtung der landesrechtlichen Immunitäten
durch das Reichsgericht damit begründet, daß umgekehrt auch die
bundesstaatlichen Organe die Immunität der Abgeordneten des
Reiches respektieren müßten, so ist übersehen, daß die Bundes-
staaten zu dem Reich nicht im Verhältnis der Koordination, sondern
in dem der Subordination stehen, und daß die höhere Gesetzes-
quelle des Reichs daher den Landesbehörden Schutz der Immuni-
täten ihrer Organe anbefehlen kann, ohne gleichzeitig damit um-
gekehrt für ihre — die Reichsbehörde — den Schutz der landes-
rechtlichen Immunitäten anzuerkennen. Es kann auch dem nicht
beigestimmt werden, daß es allgemeines bundesstaatliches Prinzip
sei und aus der Natur des Bundesstaates hervorgehe, daß die
Gesetzgebung der Einzelstaaten gegenüber der Gerichtsgewalt des
Reiches, an welcher ja alle Einzelstaaten teilhaben, die gleichen
Garantien genieße wie gegenüber derjenigen des eigenen Staates.
Denn gerade diesem Satz liegt eine Auffassung der Rechtsnatur
des Bundesstaates zugrunde, die von der Theorie des deutschen
Staatsrechts ja fast einmütig abgelehnt wird, nämlich mehr oder
minder die Verkennung, daß der Bundesstaat ein von der Summe
der Einzelstaaten gänzlich verschiedenes eigenes souveränes Staats-
wesen darstellt.