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der soeben erörterten Ansicht berufen sich ferner auf das Prinzip
der Diskontinuität der Sitzungsperioden. Danach wird das Dis-
kontinuitätsprinzip, das als Grundsatz der Tätigkeit des Reichs-
tags gilt, auf das Verhältnis vom Reichstag zum Bundesrat ange-
wandt. Dem kann aber nicht beigepflichtet werden. Es muß
vielmehr aufs schärfste betont werden, daß der besagte Grund-
satz sich nur auf die geschäftliche Behandlung im Reichstag
selbst, nicht auf das Verhältnis zum Bundesrat bezieht. Ein so
wichtiger Grundsatz des Staatsrechts könnte nur aus einer aus-
drücklichen Vorschrift der Verfassung oder einem allgemein
anerkannten Gewohnheitsrecht abgeleitet werden.
Eine zweite Gruppe von Ansichten hält nicht die Session,
sondern die Legislaturperiode als Zeitgrenze für die Sank-
tion für entscheidend. Diese Auffassung ist aber unvereinbar mit
der Auffassung des Reichstags als Organ des lteiches. Der Reichs-
tag als Organ ist nicht identisch mit der an einem gewissen Tage
versammelten Zahl von Reichstagsabgeordneten; wollte man dies
annehmen, so würde der Reichstag bei jeder Sitzung ein anderer.
von den früheren verschiedener sein. Der Reichstag als Organ
betrachtet ist vielmehr die Institution als solche d. h. an sich, die
gänzlich unabhängig ist von ihrer physischen Zusammensetzung.
Daher werden die Beschlüsse des Reichstags durch Veränderung
der physischen Verkörperung desselben nicht hinfällig, ebenso-
wenig als die Institution selbst hiedurch einem Wechsel unter-
worfen ist.
Nach der dritten, vom Verfasser geteilten, Ansicht, die nur
die Negation der zwei ersten Theorien darstellt, behalten die
Reichstagsbeschlüsse nach geltendem Recht mangels einer posi-
tiven Bestimmung auch über die Session und Legislaturperiode
hinaus unbeschränkte Gültigkeit. Hiedurch entsteht aber die Ge-
fahr, daß Gesetze vom Bundesrate erlassen werden, denen zwar
der Reichstag in einem früheren Zeitpunkt zugestimmt hat, die
aber infolge veränderter politischer Lage oder Zusammensetzung