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Die Anklagejury zunächst stellt eine höchst eigenartige und
echt englische Schöpfung dar, die zwar zur Zeit der französi-
schen Revolution auch nach Frankreich übernommen, dort aber
von Napoleon schon im Jahre 1808 wieder beseitigt wurde. Die
Anklagejury kann sich nur in einem Lande halten, in dem ein
geordnetes Anklage- und Eröffnungsverfahren nicht besteht. In
England gibt es nämlich keine Staatsanwaltschaft in unserem
Sinne. Jede Straftat kann von jedermann aus dem Volke zur
Anzeige gebracht und verfolgt werden. In der Regel also bleibt
es dem Verletzten überlassen, auch in Strafsachen sein Recht
selbst zu suchen. Der Grundsatz der Privatanklage wird aller-
dings einigermaßen durchbrochen durch Vorschriften, die in ge-
wissen Fällen den Verletzten zwingen, die Anklage zu erheben
und das Verfahren zu betreiben. Es kommt hinzu, daß die Po-
lızei in England. die außerordentlich gut organisiert ist, in den
meisten Fällen die Anzeige erstattet und die Strafklage erhebt.
Sie tut dies aber nicht als ordentliche Anklagebehörde, sondern
nur als Partei. Endlich bestehen in England zahlreiche Vereine.
die den Zweck haben, für ihre Mitglieder vorkommendenfalls
Strafklagen zu erheben und zu verfolgen. Diese Vereine, die in
großer Menge vorhanden sind, schützen alsdann ihre Mitglieder
auch dagegen, daß diese etwa nach einem ergebnislosen Ausgange
des Strafverfahrens von dem Freisresprochenen wegen der Kosten
ınd des Schadens in Anspruch genommen werden, was nicht
selten vorkommt.
Die Anklagejury also ersetzt im wesentlichen die Staatsan-
waltschaft; zugleich liegt ihr aber auch die Aufgabe unserer Er-
öffnungskammer ob. Nachdem ein Straffall zur Kenntnis des
Friedensrichters gelangt ist, stellt dieser einzelne Vorermittelungen
an, die aber nicht den Charakter unserer Voruntersuchung haben,
sondern sehr summarisch sind. Alsdann kommt die Sache vor
die Anklagejury. Sie besteht aus mindestens 12 und höchstens
23 Geschworenen, die unter sich einen Obmann wählen. Das