— 230 —
Verfahren ist nicht öffentlich. Nicht einmal der Angeschuldigte
wird zugezogen. Nur der Ankläger erscheint mit seinen Zeugen.
die auch von ihm selbst oder seinem Sachverständigen vernommen
werden. Zur Erhebung der Anklage ist erforderlich, daß min-
destens 12 Geschworene sie für gerechtfertigt erklären. Es ist
hierbei gleichgültig, wieviel Geschworene tiberhaupt an der Sitzung
der Anklagejury teilnehmen. Da ja die Höchstzahl 23 beträgt.
so bilden 12 immer die Mehrheit. Wird die Anklage erhoben,
so geht die Sache unmittelbar an die Urteilsjury, die meistens im
gleichen Gebäude tagt. Hierdurch wird die Anklagejury in den
Stand gesetzt, während der Zeit, in der die Urteilsjury die erste
Sache verhandelt, die folgenden Anklagen zu beraten und für die
Hauptverhandlung vorzubereiten. Naturgemäß wird auf diese
Weise das Verfahren außerordentlich beschleunigt.
Die Anklagejury genießt heute nicht mehr diejenige Beliebt-
heit in England, die sie früher gehabt hat. Man hält sie viel-
fach für eine veraltete Einrichtung, die in unsere Zeit nicht mehr
hineinpasse. Ihr Verfahren wird einseitig und unzuverlässig ge-
nannt. In der Tat kommt es höchst selten vor, daß eine Anklage
von der großen Jury verworfen wird. Auf der anderen Seite
aber will man sich nicht entschließen, eine Anklagebehörde nach
französischem und deutschem Muster zu schaffen. Diese Abnei-
gung gegen die Staatsanwaltschaft hängt damit zusammen, daß
in England auch der Strafprozeß als ein reiner Parteienstreit an-
gesehen wird, in dem Ankläger und Angeklagte sich gleichbe-
rechtigt gegenüberstehen. Das ganze Verfahren vor den engli-
schen Strafgerichten entspricht dieser Anschauung, wonach die
Waffen auf beiden Seiten möglichst gleich sein sollen. Hiervon
wird später noch die Rede sein. Man glaubt diesen Grundsatz
gefährdet. wenn dem Angeklagten eine öffentliche Behörde, die
mit allen Machtmitteln einer solchen ausgestattet ist, gegenüber
gestellt wird. Bevor wir zur Darstellung des Verfahrens vor der
Urteilsjury übergehen, ist noch die Jury des Coroners zu er-