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mit politischen Erwägungen heranzutreten, was zur Rechtsunsicherheit führt.
Es gibt im schweizerischen Verfassungsrecht viele Probleme von praktisch
weittragendster Bedeutung, um die sich sowohl Theorie als Praxis bisher
herumgedrückt haben oder die von ihnen in ganz ungenügender Weise
gelöst wurden. Die in Betracht kommende Literatur ist mit wenigen Aus-
nahmen eine ziemlich spärliche. Immerhin ist es doch etwas zu weit ge-
gangen, wenn VON FRISCH behauptet, es fehlt „vollständig an modernen
systematischen Werken, an einer gründlichen Durcharbeitung des eidge-
nössischen Staatsrechts“. Es muß doch daran erinnert werden, daß ein
Dups, ein BLUMER systematische Werke geschaffen haben, die, wenn auch
heute veraltet, doch noch hie und da gerne konsultiert werden. voN FRISCH
scheint auch SCHOLLENRERGERs Werke nicht zu kennen oder schweigt von
ihnen geflissentlich, was, wenn man wissenschaftlich sein will, doch nicht
angeht. SCHOLLENBERGERs Werke zeichnen sich ja gerade dadurch aus.
daß in ihnen das Streben nach einer straffen Systematik oberster leitender
Gesichtspunkt ist, worunter allerdings manchmal Einzeldarstellungen und
historische Ausführungen zu leiden haben. Mit Recht beklagt sich vox
Frisch über die durchschnittlich auf nicht gerade hoher Stufe stehende
öffentlich-rechtliche Dissertationenliteratur, wodurch sich aber die Schweiz
von andern Ländern nicht unterscheidet.
Der streng juristische Maßstab, den von FRISCH den von ihm behan-
delten Fragen anlegt, ist berechtigt und bedingt durch die Aufgabe, die
sich der Verf. stellt, nämlich eine juristische Lösung derselben zu bringen.
Es ist aber bei der Beurteilung der Lücken und Widersprüche des schwei-
zerischen Staatsrechts doch zu berücksichtigen, daß es dem praktischen
Politiker in der Schweiz bisweilen und namentlich früher, wo es keine
entwickelte Wissenschaft des öffentlichen Rechts gab und alles durch die
Brille des Privatrechts betrachtet wurde, an juristischer Schulung mangelt.
Dies hat seine Ursache unter anderem in gewissen Prinzipien des eidge-
nössischen Staatswesens, wie Wahlfähigkeit für die obersten Aemter auf
breitester Grundlage, kurze Amtszeiten. Die Parteipolitik spielt aber keine
größere Rolle als in andern Ländern. Der Verf. anerkennt, daß in diesem
System die Erklärung für manche juristische Kuriosität liegt; eine hohe
Achtung vor den demokratischen Institutionen der Schweiz scheint vox
FRISCH, wie aus manchen Bemerkungen hervorgeht, allerdings nicht zu
haben. Wenn er beklagt, wie wenig die Errungenschaften der deutschen
Staatsrechtswissenschaft auf die Schweiz eingewirkt haben, so möchte ich
darin nur eine Art Parallelentwicklung zur schweizerischen Privatrechts-
wissenschaft erblicken, die bis heute eine bemerkenswerte, wenn auch tiefer
begründete Selbständigkeit gezeigt hat.
von FriscH beschränkt sich in der Hauptsache in seinen Ausführungen
auf die Bundesverfassung und die Entscheidungen von Bundesversammlung
und Bundesrat. Die Praxis des Bundesgerichts sowohl als diejenige kanto-