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naler Behörden wird nur gelegentlich erwähnt. Zunüchst bringt der Vert.
eine Reihe von Beispielen für unklare Ausdrücke in den wichtigsten Bun-
desgesetzen und die daraus resultierende Unsicherheit der Praxis zur Dar-
stellung. Oft sind in der Bundesverfassung vorkommende Ausdrücke nicht
wörtlich zu verstehen. So bedeutet z. B. in Art. 6 der Bundesverfassung
dieses Wort nicht nur die in ihr enthaltenen Rechtsnormen, sondern das
ganze Öffentliche Bundesrecht. In bezug auf die Formen der Gesetzgebung
sind die grundlegenden Bestimmungen der Bundesverfassung besonderr
unklar und in Theorie und Praxis herrschen hier die größten Meinung:-
verschiedenheiten, weil die Grundbegriffe jeder Klarheit entbehren. Die Ver-
lassung kennt Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse. Letztere können all-
gemein verbindlich sein oder nicht, dringlicher Natur sein oder nicht. Die
Praxis der Bundesbehörden ist bei der Anwendung dieser Beschlußarten
wenig konstant und oft willkürlich. Und doch hängt von der Charakteri-
sierung des einzelnen Beschlusses ab, ob das Volk das letzte Wort hat in
einer Bundesangelegenheit oder seine Vertreter. Diese Unsicherheit der
juristischen Begriffe hat die Bundesversammlung schon dazu verleitet, aus
politischen Rücksichten Bezeichnungen für ihre Erlasse zu wählen, welche
es ermöglichten, das Referendum zu umgehen. Ueber die Sanktion der
Bundergesetze besteht in der Schweiz auch keine Klarheit. An Selbstver-
ständlichkeiten und Wiederholungen ist die Bundesverfassung auch nicht
arn. Es sei nur daran erinnert, daß auch ohne ausdrückliche Bestimmung
der Begriff des Bundesstaates es mit sich bringt, daß das Bundesrecht dem
Recht des Gliedstaates vorgeht. Die Bundesverfassung glaubte dies aber
noch extra an verschiedenen Stellen aussprechen zu müssen. Sätze der
Bundesverfassung werden in Bundesgesetzen und in der kantonalen Gesetz-
zebung häufig wiederholt, was vom gesetzgebungstechnischen Standpunkt
aus zu verwerfen und juristisch überflüssig ist. Die Kantonsverfassungen
wiederholen oft organisatorische Bestimmungen des Bundesverfassun:rsrechts.
Die durch letzteres garantierten Freiheitsrechte werden noch einmal auf-
gezählt. Soweit dadurch eine Erweiterung der als Minimalgarantie autzu-
fassenden bundesverfassungsmäßigen Freiheitxrechte statt bat, dem Subjekt
oder dem Inhalt nach, ist diese Wiederholung zu billigen.
Von besonderer Bedeutung ist die unter dem Titel „Kompetenzüber-
schreitungen“ kritisch beleuchtete Praxis der Bundesversammlung und des
Bundesrates. Beim ersteren Organ handelt es sich um Anmaßung von
Kompetenzen, die den Kantonen zukommen, beim letzteren un Aus-
übung von Befugnissen, die eigentlich nur der Bundesversammlung zustehen.
Gegen eine gewohnheitsrechtliche Fortbildung der Verfassung ist natürlich
nichts einzuwenden. Wogegen sich vox Frisch wendet, das ist die be-
wußte Ignorierung oder Verletzung der Verfassung in Fällen, wo allein
eine Verfassungsänderung auf rechtmäßigem Wege eine Lücke auszufüllen
oder eine unbrauchbar gewordene Bestimmung zu beseitiren wäre. Bei-