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Der zweite und größte Teil des Buches enthält die Staatslehre, d. n.
Ausführungen über Begriff, Funktionen, Organe und Tätigkeit des Staates.
Was über Elemente und Wesen des Staates, über den Rechtsstaat und die
Vorläufer des modernen Staates gesagt wird, ist ungefähr das, was man in den
meisten Büchern über allgemeine Staatslehre findet. Die Funktion des Staates
ist einerseits eine soziale, andererseits eine rechtliche. Durch das Recht
sichert der Staat die Bedingungen des Bestandes der Gesellschaft, wird die-
selbe überhaupt möglich und für diejenigen, die sie bilden, nützlich. Soweit
aber diese Garantiefunktion des Staates nicht ausreicht zu dem genannten
Zweck, ist eine Kollektivaktion der ganzen Gesellschaft nötig, deren Organ
wieder der Staat ist. Eine überwachende, Richtung angebende Unter-
stützungstätigkeit deg Staates greift dann Platz, welche der von Privaten
ausgeübten koordiniert ist.
Besonders anregend geschrieben ist in diesem zweiten Teil des Werkes
das dritte Kapitel betreffend die Staatsorgane. Nachdem der Verf. sich
über den Organbegriff und die Notwendigkeit für den Staat durch Organe.
d. h. Menschen, zu handeln, verbreitet hat, setzt er die rechtliche Natur
des öffentlichen Amtes, der Beziehungen zwischen Staatsorganen und zw-
schen Inhabern von Aemtern und dem Staate selbst, auseinander. RANEIL-
LETTI erörtert namentlich auch die interessante Frage, wie und warum
Behörden, welchen doch die Qualität der juristischen Person abzusprechen
ist, als Rechtssubjekte auftreten können und wie ohne Einbruch in die
Einheitlichkeit der Rechtspersönlichkeit des Staates dieser ein Rechtaver-
bältnis mit sich selbst eingehen kann. Bei der Klassifikation der Staat:-
organe ist hervorzuheben — abgesehen von den beiden Arten der unmittel-
baren und mittelbaren Organe — die Unterscheidung, die RANELLETTI
macht, zwischen aktiven und nichtaktiven äußeren Organen einerseits und
internen Organen andererseits. Ersteres sind diejenigen, welche durch Aus-
übung des Staatswillens in Beziehungen mit anderen Rechtssubjekten recht-
liche Wirkungen hervorbringen. Die nicht aktiven äußeren Organe können
keine Rechtsakte vornehmen, aber ihr Wille beschränkt diejenigen anderer
Organe in der Weise, daß ihre Zustimmung oder Genehmigung nötig ist,
um einem Akte Rechtsgültigkeit zu verleihen. Die internen Organe sind
solche, die bloße Hilfsfunktionen ausüben. Einen analogen Gedankengang
findet man übrigens bei JELLINEK in seiner Staatslehre und in seinem
früheren Buche: Gesetz und Verordnung. Bei der Schilderung der unmittel-
baren und mittelbaren Organe faßt RANELLETTI in erster Linie das italie-
nische Recht ins Auge, aber auch hier, wie übrigens im ganzen Werke.
wird neben der französischen und englischen Literatur auch die deutsche
Rechtswissenschaft vor allem berücksichtigt.
In dem Kapitel über die Stautstätigkeit kommt in vorzüglicher Weise
die Dreiteilung der Staatsgewalt [iin materiellen und formellen Sinne] zur
Darstellung. Es würde viel zu weit führen, hier dem Verf. ins einzelne zu