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bezirk des Reiches“ in Gegensatz zu der — allerdings gar nicht existieren-
den — „Reichsprovinz“, eine an sich einfache, vernünftige und zweck-
mäßige Lösung der Frage, die aber doch nicht endgültig und in allem be-
friedigen kann, wie wir noch weiter unten sehen werden. Vom privat-
rechtlichen ‚Standpunkte aus könnte man einen Vergleich dahin ziehen, daß
die „elsaß-lothringische Regierung“ nicht wie die Regierungen der Einzel-
staaten, Gesellschafterbefugnisse, sondern nur eine von der Reichsregierung
abgeleitete „Prokura“ besitzt, die sie allerdings zu einem sehr weitgehen-
den selbständigen Handeln ermächtigt. Die elsaß-lothringische Verfassung
kann, wie die Prokura widerrufen werden. Bei Ausübung des Stimmrechts
durch die elsaß-lothringischen Bundesratsbevollmächtigten handelt die el-
saß-lothringische Regierung wie ein, zusammen mit einem oder mehreren
Gesellschaftern, zur Vertretung der Gesellschaft befugter Prokurist, usw.
Mit einem solchen Vergleich würde sich auch die Auffassung des Verf.
decken, daß ein besonderes elsaß-lothringisches Landesvermögen nicht
existiert. Tatsächlich liegt die Sache aber doch ganz anders; Elsaß-Loth-
ringen besitzt eigenes Vermögen, der reichsländische Fiskus ist nicht etwa
bloß eine statio fisci des Reiches. Das Reich hat mit Elsaß-Lothringen
schon Kaufgeschäfte abgeschlossen; ferner hat das Reichsland eigene von
denen des Reiches getrennte Schulden und eine getrennte Schuldenver-
waltung. Niemals wird es dem Reich einfallen, elsaß-lothringische Landes-
schulden zu bezahlen, oder umgekehrt, Elsaß-Lothringen, Schuldverschrei-
bungen des Reiches einzulösen. Elsaß-Lothringen ist aber weiter nicht
bloß eine privatrechtliche, sondern eine öffentlich-rechtliche ju-
ristische Person. Das letztere folgt schon daraus, daß es mit Auto-
nomie begabt, daß ihm die Gesetzgebungsgewalt des Reiches delegiert ist.
Einer privatrechtlichen juristischen Person könnte die Gesetzgebungsgewalt
nicht delegiert werden.
Im übrigen kann den v. WESENDoNKschen Ausführungen in vielen
Punkten beigetreten werden. Dem Reichslandcharakter besonders eigen-
tümlich ist der Umstand, daß die gesetzgebenden Faktoren nicht bloß Lan-
desfaktoren sind. So werden die Mitglieder der ersten Kanımer zum Teil
auf Vorschlag des Bundesrats durch den Kaiser ernannt. Ferner steht
dem Kaiser die Sanktion der Gesetze zu. Dem Kaiser steht weiterhin die
Ernennung des an der Spitze der Landesregierung stehenden Statthalters zu.
Die zweite Kammer hat allerdings ganz den Charakter der Landtage
der deutschen Einzelstaaten, wenn sie auch mit dem Widerruf des Ver-
fassungsgesetzes jederzeit in Wegfall kommen kann. Nicht zutreffend er-
scheint es mir aber, wenn W. von dem els.-lothr. Landtag als einem „Son-
derreichstag® spricht. Schon seine ganze Zusammensetzung widerspricht
einem solchen Vergleich; konsequenterweise hätte W. von einem „Reichs-
landstag* sprechen müssen. Richtige Folgerungen seiner Theorie sind es
dagegen wieder, wenn der Verf. die Existenz einer besonderen elsaß-