Full text: Archiv des öffentlichen Rechts. 33. Band. (33)

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Religion hatten, und werden, getrieben von dem angeborenen mensch- 
lichen Bedürfnis nach einem höheren Glauben, sich von selbst zu der 
christlichen wenden. Ihr Uebertritt, der jetzt, wo sie ihre unterdrückten 
Mitbrüder verlassen und die bis daher mitgetragene Last auf sie abwerfen, 
um unter den vollberechtigten Christen mit dem Namen „getaufter Jude* 
belegt zu werden, nur unter besonderen Umständen zu entschuldigen ist, 
wird alsdann wünschenswert, erfreulich und wohltätig seyn.“ Beliebig 
ließen sich diese Beispiele vermehren — es ist leider hier nicht der Platz 
dafür —. wie in der Judenreform nur die allgemeinen Ideen der geistigen 
Wiedergeburt Preußens, die Freiheits- und Humanitätsideale, die auf allen 
\tebieten staatlichen Lebens wirkten, sich widerspiegeln. So ist es denn 
auch der Mann gewesen, der gemäß den politischen Ideen der Aufklärung, 
den wirtschaftlichen des Smithianismus das Heil des Staates im freien 
Spiel aller Kräfte suchte, der die Judenreform zu Ende führte: um die 
Wende des Jahres 1810 begann HARDENBEBG, durchdrungen von der Not- 
wendigkeit, „die Juden unbedingt den Christen in allen ihren Rechten 
und Verhältnissen gleichzustellen‘, das gesetzgeberische Werk, das mit 
dem Edikt vom 11. März 1812 vollendet wurde. — Und hiermit beginnt 
eine neue, für die Geschichte des preußischen Staats- und Rechtslebens 
wiederum lehrreiche Epoche der Entwicklung der staatlichen Behandlung der 
Juden: sofort mit der Beendigung der Befreiungskriege setzt, wie auf allen 
Gebieten der Reformen von 1806 bis 1814, eine Reaktion ein gegen die 
liberale Entwicklung. Auf die Einzelheiten, die FREUND darüber berichtet, 
kann hier nicht eingegangen werden. nur das sei als besonders charakte- 
ristisch erwähnt, daß die eifrigsten Trüger «der Reaktion auf diesem beson- 
deren Gebiete keine anderen waren, wie auch sonst; in erster Linie z. B. 
derselbe Polizeipräsident von Wittgenstein, der in dem Werkzeuge der 
Befreiung Preußens, dem Volksheer (insbesondere der Landwehr) eine 
Staatsgefahr sah, erachtete auch die den Juden gewährte Freiheit für staats- 
gefährlich. — Wie auf anderen Gebieten des Öffentlichen Rechts sollte es 
auch hier erst das Jahr 1848 sein, das der Reaktion ein Ende machte. 
Die Verleihung der Menschen- und Bürgerrechte an die Juden ist von da 
ab nur ein Teil der Entstehungsgeschichte der preußischen Verfassung. — 
So spiegelt sich in der Geschichte der preußischen Judenemanzipation 
nicht nur die allgemeine Entwicklung der Staatsauffassung, sondern auch 
die besondere Entwicklung des preußischen Staatsrechts wider. 
Das Werk von FREUND ist geschrieben in memoriam des Kudiktes vom 
ll. März 1812. Ungeheuer ist der Unterschied der Rechtslage, die den 
Juden eine 100jührige Entwicklung gegeben hat. Interessant ist das, wie 
ich anzudeuten versuchte, als Beispiel für die Bedeutung der allgemeinen 
Staatstheorien. Interessant ist es aber auch für die Erkenntnis der Grenzen 
der Verwirklichungsmöglichkeit solcher Theorien mit den Mitteln des 
Rechts. Die Reformer von 1808 bis 1814 haben diese fraglos überschätzt.
	        
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