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staat selbst durch Ueberwindung des ständischen Staates mit seinem Dua-
lismus geschaffen hat. Der Gedanke der Einheit der Staatsgewalt, den uns
der Polizeistaat gegeben hat, ist es, der uns die FEirkenntnis ermöglicht
hat, daß der Staat der formelle Ausgangspunkt allen Rechtes und allen
Rechtsschutzes ist. Das nun ist gerade der Punkt, in dem die Eigenart
des englischen Rechts und die daraus sich jetzt ergebenden Eintwicklung:-
schwierigkeiten m. E. liegen. In der englischen Rechtsauffassung lebt im-
mer noch ein Rest des ständischen Staatsgedankens, in dem die durch die
Stände repräsentierten und geschützten Untertanen als eine Partei der
durch den König repräsentierten öffentlichen Gewalt als der anderen Partei
gegenüberstehen: das Common Law und der Richter entscheiden noch naclı
der heutigen englischen Auffassung zwischen der aus sich selbst bestehen-
den Freiheit der Staatsbürger und den Ansprüchen der Öffentlichen Gewalt.
Und eben deshalb ist für das englische Recht der uns so selbstverständ-
liche Gedanke so schwer zu verarbeiten, daß die Schaffung einer zentrali-
sierten, gesetzlich genau bestimmten Verwaltungsorganisation, die gleich-
zeitig einen Schutz jener gesetzlichen Bestimmung durch Konstituierung
besonderer Entscheidungsgewalten schafft, auch nichts anderes ist als (re-
setz und Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Einzelfreiheit und obrig-
keitlicher Gewalt.
Die englische Organisation der Verwaltung und des Verwaltungsrechts-
schutzes zeigt in der Darstellung K.s manche Annüherung an unsere kon-
tinentalen Grundsätze, aber daneben noch wesentliche Charakterzüge der
eigentümlichen älteren englischen Staats- und Rechtsauffassung. Für die
rechtsvergleichende Betrachtung des englischen Verwaltungsrechts bleibt
nunmehr nur die eine und wohl nicht unwichtigste Frage: welche Bedeu-
tung für den materiellen Inhalt des Verwaltungsrechts, für Richtung und
rechtlichen Umfang des Wirkens der einzelnen Verwaltungszweige hat die
mehr oder weniger große Verschiedenheit der Organisation ? Inwieweit
entspricht ihr (oder entspricht ihr überhaupt nicht) eine Verschiedenartig-
keit in der Verwirklichung der Idee des Rechtsstaates und des Schutzes
der staatsbürgerlichen Freiheit durch den materiellen Ausgleich zwischen
Einzelinteresse und öffentlichem Interesse? Die Untersuchung dieser Frage
lag außerhalb der Aufgabe, die K. sich gestellt hatte. Da sie aber unter
das Thema fällt, das der Titel des Buches angibt („Verwaltungsrecht
schlechthin), so ist wohl in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die
Bedeutung jener Frage nicht ungerechtfertigt. Sie liegt in der staatswissen-
schaftlich ungeheuer wichtigen und interessanten allgemeinen Frage, die
in jener konkreten enthalten ist, ob nämlich überhaupt die Organisation
der Behörden und des Rechts für den materiellen Gehalt des Rechts von
absoluter Bedeutung ist; oder ob nicbt vielmehr die Verwirklichung des
materiellen Rechtsgedankens in ganz verschiedenen Formen der Organisation
der Verwaltung und des Verwaltungsrechtsschutzes (entweder absolut oder