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Kläger auftritt. Gerade hieran zeigt sich die wesentliche Verschiedenheit
der englischen Polizei von der kontinentalen. Sie ist nicht wie jene ent-
standen aus dem sozialen Gedanken des modernen Staates: der im Polizei-
staate zunächst überspannten, dann auf ihr richtiges Maß reduzierten Für-
sorgepflicht des Staates für seine Mitglieder, sondern sie beruht vornehm-
lich auf dem, auch von der englischen Jurisprudenz stets in den Vorder-
grund gestellten, alten Gedanken des jus civile: sic utere tuo, ut neminem
laedes. Dabei ist es denn Sache des Gestörten, die Hilfe der Gerichte zur
Beseitigung der Störung herbeizuführen, indem er auf Unterlassung oder
Bestrafung klagt: so klagt bei der private nuisance der Privatmann. der
in seinen Interessen verletzt ist, so klagt bei der public nuisance durch
den Attorney General der Staat, der in seinem Interesse an der Aufrecht-
erhaltung der öffentlichen Ordnung verletzt ist. Dieser Rechtszustand ist
vielleicht auch ein Beweis für die oben angedeutete Auffassung. daß die
Eigenart des englischen Staatsrechts, die dieses zweifellos durch den Aus-
fall der Entwicklungsepoche des Polizeistaats erhalten hat, weniger beruht
auf dem Fehlen des Gegensatzes zwischen dem Polizeistaat und dem heutigen
Kulturstaat, als auf dem Fehlen der klaren Herausarbeitung des modernen
Staatsgedankens der Einheitlichkeit der Staatsgewalt, den uns der Polizei-
staat in Ueberwindung des ständischen Staates gebracht hat. Prägt sich
doch in der Parteistellung des Staates in Polizeisachen nach der Art des
englischen Rechts derselbe Dualismus aus, der im ständischen Staat Fürst
und Volk als paktierende Rechtssubjekte gegenüberstellte, während in unserer
rechtlichen Auffassung von der polizeilichen Beschränkung der Einzelfreiheit
sich wesentlich der Gedanke der einheitlichen Staatshoheit widerspiegelt:
das überkommene englische Polizeirecht beruht auf der prinzipiellen Auf-
fassung, daß der Anspruch des Staates auf Beseitigung von Störungen der
öffentlichen Ordnung rechtlich nicht verschieden ist von dem Anspruch
des Einzelnen auf Beseitigung von Störungen seiner Lebenssphäre. Erst
das Ende des 19. Jahrhunderts hat auch auf dem Gebiete des Polizeirechts
begonnen, den Gedanken der Staatshoheit in der Verwaltung zur Geltung
zu bringen, indem es dem Staate neben jenen alten Rechtsbehelfen die
besonderen rechtstechnischen Mittel einer öffentlichrechtlichen Polizeige-
walt gegeben hat: Verordnung und Verfügung. Damit und mit den Rechts-
schranken für den Gebrauch dieser Mittel, wie sie gegeben sind durch die
einzelnen gesetzlichen Delegationen einerseits und den Begriff der public
nuisance unter Berücksichtigung der reasonebleness andererseits, sind aller-
dings in das englische Polizeirecht einige systematisch echt verwaltungs-
rechtliche Elemente hineingetragen worden. Damit ist jedoch das Wesen
des englischen Polizeirechts als Ganzem dem des kontinentalen nicht näher
gekommen, im Gegenteil ist mit der dadurch im englischen Recht her-
vorgerufenen Komplizierung sein Unterschied von dem kontinentalen noch
stärker zutage getreten. Das Wesentliche ist, daß das englische Recht