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kann. Positivrechtlich bedeuten ja auch diese Freiheitsrechte in Dänemark
nichts anderes als in den kontinentalen Staaten: nicht nur ihre den kon-
stitutionellen Theorien entnommene Proklamation im Grundgesetz, sondern
auch ihre Ausgestaltung in den einzelnen Gesetzen ist wesentlich die
gleiche. Für das deutsche Recht interessiert besonders, daß die Regelung
des Versammlungsrechts aus den Jahren 1863 und 1871 bereits auf einem
(Gedanken beruht, der jetzt auch in $ 10 RVG. in beschränkterer Weise
zur Geltung kommt: daß nämlich regelmäßig und zunächst die Aufrecht-
erhaltung der Ordnung in der Versammlung — die „Versammlungspolizei*,
wie man es wohl (analog der „Sitzungspolizei* des Gerichtsvorsitzenden)
nennen könnte, oder der „Versammlungsdisziplin* wie es juristisch kor-
rekter die Motive zum Reichsvereinsgesetz ausdrücken — allein dem Ver-
sammlungsleiter zustehen soll, dem die Polizei nach dem Ausdrucke der
dänischen Gesetze nur „Beistand zu leisten“ haben.
Von den im zweiten Abschnitt (Inhaber der Staatsgewalt) behandelten
Materien: König, Minister und Reichstag ist von besonderer Bedeutung zu
dem zweiten Kapitel die Ministerverantwortlichkeit, die vor einem Staats-
gerichtshof geltend gemacht werden kann, und zwar einerseits nicht von
dem ganzen Parlament, sondern nur dem Unterhaus (dem Volksting), an-
dererseits aber auch von dem König. An die Ministerverantwortlichkeit
knüpfen sich mancherlei von dem Verf. erörterte, juristisch und politisch
erhebliche Fragen, wie z. B. die, ob ein Minister für königliche Akte auch
ohne Gegenzeichnung, ob er für die Amtshandlungen eines Vorgängers
verantwortlich ist, ob und wieweit er wegen Ueberschreitung des Finanz-
gesetzes (von den Verf. an anderer Stelle behandelt) zur Verantwortung
gezogen werden kann und dergl. mehr. Wie wichtig übrigens politisch
das Institut der Ministeranklage der dänischen Auffassung als Rechte-
garantie erscheint, beweist die Tatsache, daß es auch für Island (vgl. Ab-
schnitt V des Werkes) besteht, sogar in doppelter Weise: vor dem Reichs-
gericht und vor einem besonderen isländischen Staatsgerichtshof, dem
Landgericht. — Sehr eigenartig und kompliziert sind die Rechtsnormen
über die Zusammensetzung des Reichstages. Das Landting, das Oberhaus.
besteht aus 66 zum Teil vom König ernannten, zum Teil vom Volke ge-
wählten Personen. Die Wahl ist indirekt, aber das Wahlkollegium wird
verschieden auf den Faröern, in Kopenhagen und dem Rest des Landes
gebildet, in letzterem besonders verwickelt, indem das an sich schon kom-
plizierte und in Landgemeinden und Provinzialstädten verschiedene System
noch durchkreuzt wird durch ein direktes Wahlrecht einer Gruppe sehr um-
ständlich zu ermittelnder Höchstbesteuerter. Die Wahl selbst geschieht dann
nach der ebenfalla recht wenig einfachen Andraeschen Proportionalwahl-
methode, die schon vor der Veröffentlichung des Hareschen Systems in
Dänemark angewendet wurde und deren angebliche Vorteile vor dem ein-
facheren d’Hondtschen System hier nicht näher untersucht werden können.