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van Calker, Wilhelm, Das Staatsrecht des Großherzogtums
Hessen (Das öffentliche Recht der Gegenwart, herausg. von HUBER,
JRLLINEK 7, LaBAnD, PıtLoty Bd. XIX). Tübingen, J. C. B. Mohr
(Paul Siebeck) 1913. XII und 328 S. Mk. 9.
Wissenschaftlich unentbehrlich zugleich und undankbar ist die Bear-
beitung deutscher Landesstaatsrechte, wie sie „Das Öffentliche Recht der
(regenwart“ vermittelt. Unentbehrlich: denn, wie einerseits die Auslegung
und Anwendung der positiven Rechtssätze der einzelnen Landesstuatsrechte
nur möglich ist unter Verwertung der vom gemeinen deutschen Staatsrecht
herausgebildeten Grundsätze, so kann sich andererseits deren Herausbildung
nur aufbauen auf einer Verarbeitung jener. Undankbar: denn jede Einzel-
darstellung eines Bandesstaatsrechts läuft (wenigstens im Rahmen eines
solchen Gesamtwerks) unweigerlich Gefahr, entweder aus Berücksichtigung
praktischer Verwendbarkeit in die Szylla einer wissenschaftlich zu bedauern-
den Einschränkung der Verbindung mit den allgemeinen Lehren zu geraten,
oder durch die Tendenz theoretischer Gründlichkeit der Charybdis der Nichter-
füllung der in den betreffenden kinzelstaaten auf sie gesetzten Erwartungen
praktischer Belehrung zugetrieben zu werden. In der vorliegenden Bearbeitung
des hessischen Staatsrechts ist deutlich zu erkennen, wie der Verf. sich dieser
Gefahr bewußt war. Er hat versucht, ihr dadurch zu entgehen, daß er — auream
mediocritatem diligens — bei einer einerseits möglichst erschöpfenden Dar-
stellung des ausgedehnten positiven Rechtsstofles, andererseits wissenschaft-
lich besonders anreizende Fragen zwar nicht überging. in der Ausdehnung
ihrer Untersuchung aber sich weniger nach ihrem theoretischen Interesse,
sondern wesentlich nur nach ihrer Bedeutung im Rahmen des Gesamtstofles
richtete. Es erschien notwendig, auf diese Methode des Verf. hinzuweisen,
denn eo sehr sie einer gewissenhaften Verfolgung des eigentlichen Zweckes
des Werkes entspricht, ist ihre Anwendung doch nicht nur im rein
wissenschaftlichen Interesse zu bedauern, sondern auch für die Beurteilung
der Leistung des Verf. unvorteilhaft, weil sie es viel schwerer erkennen
läßt, wie viele, wenn auch meist nicht tief schürfende, eigene juristische
Arbeit trotz des so ungemein reichhaltig vorhandenen monographischen
Materials in den zahlreichen wichtigen Fragen. in denen dies versagte, in
dem Werke steckt.
Für die Wissenschaft des deutschen Staatsrechts — von deren Stand-
punkt aus das Werk für uns zu betrachten ist — sind in der Untersuchung
der einzelstaatlichen Rechte von Interesse zunächst und wesentlich deren
Eigenarten in Beziehung zu den Normen des gemeinen deutschen Staats-
rechte, sei es in erläuternder oder ergänzender Weise, sei es durch aus-
nahmebildende Gegensätze. Die interessantesten Eigenarten des hessischen
Staatsrechte sind darin begründet, daß die hessische Verfassung eine der
ältesten deutschen konstitutionellen Verfassungen ist und durch ihre darin
begründete Unsicherheit in der Technik des konstitutionellen Staatsrechts