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scharf die wichtige und vielfach nicht genügend beachtete Tatsache her-
vor, daß das isolierte Schiedsgericht nicht wie ein ordentliches Gericht,
den „Fall* in seiner Totalität, wie er sich ihm nach den einander wider-
prechenden tatsächlichen und rechtlichen Behauptungen der Parteien dar-
stellt, zu beurteilen hat, sondern daß seine Aufgabe sich darauf beschränkt,
eine oder mehrere von den Parteien vereinbarte Fragen zu beant-
worten, und daß es den Parteien völlig freisteht, den Prozeßstoff beliebig
ıu begrenzen.
Daß dabei die Gefahr besteht, daß der Kernpunkt des Streites ver-
schleiert wird, ist außer Zweifel. Es darf aber nicht vergessen werden
daß recht wohl Fälle denkbar sind, in denen die Sache einem Schiedesge-
richt nur deshalb übergeben wird, um den Streit aus der Welt zu schaffen,
und daß es dabei den beteiligten Regierungen vielleicht weniger auf die
Klarstellung der Verhältnisse und ihre rechtliche Beurteilung ankommt,
als vielleicht eine aufgeregte Öffentliche Meinung zu besänftigen — Er-
wägungen, die uns in dem andern Zusammenhange wieder begegnen wer-
den, ob eine Sentenz nach — wie man es wohl zu formulieren pflegt —
strengem Recht oder nach Billigkeit zu ergehen habe. Ist das Schieds-
gericht nun anders gestellt, wenn es sich um ein solches institutioneller
\atur handelt? LAMMASCH bejaht diese Frage. M. E. zu Unrecht. Denn
wenn es auch zweifellos zutreffend ist, daß, falls nach Ansicht einer Partei
das Schiedsgericht auf Grund des Kompromisses nur einen Teil der Frage
entschieden hat, kraft der aus dem Grundvertrag emanierenden Rechts-
pflicht, der Gegner, wenn es zum Streit kommt, seine Zustimmung zu
einem neuen Verfahren geben muß, und wenn es daher auch praktisch
sein wird, solch neuem Streit durch möglichste Ausdehnung der Kompe-
tenz des Gerichtes vorzubeugen, so ändert das doch nichts an der Tat-
sache, daß das Tribunal in gleicher Weise beim eigentlichen wie beim un-
eigentlichen Kompromiß an die in ihm beliebte Fragestellung gebunden
und, wenn die Parteien sich dahin geeinigt haben, ihm z. B. nur die Prü-
fung eines bestimmten Teils des Materials zu gestatten und ihm vielleicht
vorhandenes weiteres nicht zugänglich zu machen, verpflichtet ist,
sich damit zufrieden zu geben !.
Vollkommen richtig ist es, wenn L. eine Mitwirkung des Parlaments
bei Abschluß des uneigentlichen Kompromisses für überflüssig und auf
1 Ein, wie mir scheint, gutes Beispiel hiefür bietet der sogen. Gris-
badarnastreit, den ich in der Sammlung der Entscheidungen des Haager
Schiedshofs (ScHÜckInGs Werk vom Haag, Il. 1. III) behandelt habe. Auch
dort handelt es sich um ein uneigentliches Kompromiß, dessen Fundament
die Stockholmer Konvention vom 26. X. 05 bildete. Man hatte in dem
‚uneigentlichen Kompromiß“ dem Schiedsgericht sehr starke Handfesseln
angelegt. Vgl. bes. a. a. O. S. 121 ff.
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