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Aus dem Abschnitt über das schiederichterliche Verfahren seien nur
wenige Punkte hervorgehoben. Von besonderem Interesse ist es, was L.
zu der vielerörternden Frage zu sagen hat, ob auch Privaten, die sich von
einem Staate geschädigt fühlen, ein selbständiges Klagerecht gegeben wer-
den soll. Ich billige es vollkommen, wenn er dieser Forderung (im Gegen-
satz zu der nach einem internationalen Schiedsgericht bei Streitigkeiten
zwischen zwei Priv.atparteien) nur mit entschiedenem Skeptizismus gegen-
übersteht. Denn in der Tat ist die Gefahr einer Schikane groß, und wenn
es auch zuweilen vorkommen mag, daß die Interessen der Einzelnen
leiden, weil der Staat sich seiner aus politischen Gründen nicht annimmt,
so darf doch auf der andern Seite auch nicht verkannt werden, daß auch
vielleicht frivole und schikanöse Forderungen, „die ein Angehöriger de:
einen Staats gegen den andern vielleicht gerade im unpassendsten Zeit-
punkt erhebt, eine den Frieden gefährdende Mißstimmung zwischen den
Mächten selbst“ entstehen lassen können. Und da gilt unbedingt der Sat::
salus publica lex suprema esto!
Ist der Spruch des Schiedsgerichtes ein Spruch des Schiedshofes
selbst als eines Organs der Staatengemeinschaft? SCHÜCKING und auch
neuerdings WEHBERG bejahen es. Nachdem ich bereits vor Jahren den
entgegengesetzten Standpunkt vertreten, freut es mich besonders, der Zalıl
derer, die gleicher Ansicht sind, gerade LAMMAscH hinzuzählen zu dürfen.
Und fürwahr: Wieso die von den Parteien, wenn auch eventuell unter Mit-
wirkung von Zwischengliedern, berufenen Listenmänner ’”, die ihre Tätig-
keit aus dem Willen der Parteien und nur aus diesen ableiten, und deren
einziges Verbindungsglied mit den übrigen Mitgliedern des Haager Schied:-
hofs einzig und allein die Aufnahme in derselben Liste ist, auf einmal in
Namen aller Signatarmächte judizieren sollen, ist nicht einzusehen und
Richter und ebensoviel Hilfsrichter auf 12 Jahre gewählt, von denen min-
destens 2 dem anglo-amerikanischen Rechtssystem angehören müssen. Ge-
wählt sind die Richter bzw. Hilfsrichter (die als solche auf dem Stimm-
zetteln ausdrücklich zu bezeichnen sind), die die absolute Mehrheit der
abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen. Bei gleicher Stimmenzahl ent-
scheidet das Los.“
ı? Daß das sogen. Haager ständige Schiedsgericht nichts anderes it
als eine Liste, aus der die Schiedsrichter des konkreten Streites entnon-
men werden sollen, ist nach wie vor meine Ansicht. WEHBERGs Polemik
hingegen hat mich von ihr nicht abzubringen vermocht. Der, nachdeu
alle anderen Beweismittel versagt haben, heraufbeschworene „Geist* des
Friedensabkommens kann unmöglich etwas daran ändern, daß eben nun
einmal die Mitglieder des Haager Schiedshofs nicht mehr als eine An-
wartschaft, eine spes, auf möglicherweise ihnen übertragene
Richterfunktionen haben.