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Der Umfang des Besetzungsgebiets bestimmt, erweitert und
verengt sich lediglich durch die Tatsache der Gewalt.
Ist das ganze feindliche Staatsgebiet besetzt, so bedeutet dies
eine debellatio!”; der Staat, der ja eine Gebietsherrschaft ist, hat
aufgehört zu existieren ; der Kampf ist vorbei. Der Souverän hat
seine Herrschaft verloren. Daran ändert sich nichts, wenn infolge
von Allianzverhältnissen im Gebiet des Alliierten weitergekämpft
wird. Ein Staat ist auch in diesem Fall mit der Besetzung seines
ganzen Gebiets annexionsreif; das weitere ist eine Frage der
Politik.
Wenn allerdings England seinen Krieg mit der Türkei damit
begann, das okkupierte Cypern und Aegypten zu annektieren,
so ist das eine völkerrechtliche Kuriosität.
Die Ansicht des Oxforder „Manuel“ des Institut de droit
international vom Jahre 1800 (Art. 40), daß die besetzende Mili-
tärgewalt die Einwohner durch eine Proklamation nicht
bloß über den „pouvoir qu’elle exerce“, sondern auch über die
Ausdehnung (&tendue) des Besetzungsgebiets aufzuklären habe '°,
wurde in der Landkriegsordnung vernünftigerweise nicht über-
nommen. Davon, daß die Proklamation eine Voraussetzung für
den Eintritt des Besetzungszustandes sei, kann erst recht keine
Rede sein.
3. Die Besetzung ist ein rein tatsächlicher Vorgang und
die Macht des Besetzenden eine rein tatsächliche Herrschaft '®.
Nicht auf Grund eines Rechtstitels sondern lediglich auf Grund
der tatsächlichen Macht kommt der Okkupant in den Besitz der
Herrschaft. Hätte BEERNAERT nichts anderes sagen wollen, so
wäre ihm zuzustimmen. Doch wie der privatrechtliche Besitz
ı Die in der Literatur zutage getretenen Bedenken gegen die debel-
latio als wirklicher Rechtstitel finden in der Stastenpraxis keine Stütze.
ı Aehnlich v. Martens Völkerrecht $ 118 und Prrıt, De l’admini-
stration de la Justice en territoire occupe 1900, S. 15.
1% Das Oxforder „Manuel“ des Institut de droit international (1880) sagt
daher im Art. 6: „l’occupant n’exerce qu’un pouvoir de fait*.