Full text: Archiv des öffentlichen Rechts. 33. Band. (33)

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seiner Bürger noch nicht respektierte — eine Tatsache, die auch 
noch nach Erlaß der VU. infolge des Umstands, daß Macht vor 
Recht geht, immer wieder verwirklicht wurde und wird, bis dem 
einzelnen auch eine rechtliche Möglichkeit gegeben wurde oder 
ist sich gegenüber Verletzungen dieser Sphäre wirklicher Rechts- 
mittel zu bedienen. Wenn dann die VU. die Rechte der Preußen 
näher umschrieb, so gab sie nicht dem Wesen der „Eigenschaft als 
preußischer Untertan“ einen neuen Inlıalt, sondern sie führte nur 
den Gedanken des ALR. weiter, indem sie das dort bereits ange- 
deutete und in der Folgezeit sowohl nach der Rechts-, wie nach 
der Pflichtseite recht kräftig entwickelte mitgliedschaftliche Ver- 
hältnis — mit dem sogar wenigstens mittelbar wirkliche politische 
Rechte verknüpft waren, wie das Wahlrecht nach StO. oder die 
Kreis- bzw. Provinzialstandschaft — nunmehr kraft Staatsgrund- 
stungen des Preußischen Volks in den Jahren 1813—1815, desselben Volks, 
dessen Teilnahmlosigkeit noch wenig Jahre vorher den Staat des ancien regime 
unter demselben Herrscher hatte zusammenbrechen lassen. Ent- 
scheidend ist nicht das „Stück Papier“, das Friedrich Wilhelm IV. nicht 
zwischen sich und das Volk geschoben sehen wollte, sondern der Geist im 
Staat, und der Staat ist nicht mit dem Herrscher identisch Wenn man 
es dann eine „Gnade“ nennt, daß sich auch der Herrscher der Erkenntnis 
des zwischen der 1808—1815 gelegten Grundauffassung des Staats und der 
Praxis seiner Regierung klaffenden Zwiespalts nicht mehr verschloß, wenn 
man sagt, der König habe in der Verfassung auch dem Volk einige Rechte 
konzediert, so verwechselt man Macht und Recht: Der Preuß. Staat von 
1815—1848 ist derselbe, wie der Staat der Restaurationsjahre. Es ist der 
im Ausbau begriffene Rechtsstaat, der als solcher anerkannt war — nur 
war die Vollendung zunächst „auf die lange Bank geschoben‘, um später 
ganz vergessen zu werden. Der „absolute Staat“ von 1815—1848 ist 
ebensowenig „absoluter Staat“, wie das Preußen vor 1806. Damals lagerte 
der Absolutismus auf der breiten Unterschicht des alten Feudalstaats, jetzt 
lagerte er auf dem 1808—1815 errichteten Rechtsstaat. Allerdings, es ist 
dies hier zu wiederholen, tatsächlich stellt die Verfassung ein Kom- 
promiß zwischen dem absoluten Herrscher und dem Volk, zwischen der 
faktischen Macht und dem Recht dar, was für die Frage der Auslegung 
der VU. von außerordentlicher Bedeutung ist. Von nun an ist verfas- 
sungsmäßiges Recht, was der faktischen Macht bei diesem Konıi- 
promiß zugebilligt wurde. 
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