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oder auf Gehalt, Pension, Wartegeld oder ähnliche Bezüge min-
destens im anderthalbfachen Betrage des Krankengeldes haben,
sind von der Versicherungspflicht ausgenommen.“
Der Gesetzgeber wußte, dab $ 3 des Reichskrankenversiche-
rungsgesetzes hier von Minimalleistungen des Reichs, des Staates
oder Kommunalverbandes spricht, welche, unabhängig von der
Fortdauer oder Beendigung des Dienstverhältnisses, zu gewähren
sind.
Die Auslegung des oberstrichterlichen Erkenntnisses macht
also dem Gesetzgeber von 1908 zum Vorwurfe, daß er in seinen
Motiven zu Art. 35 bewußt etwas versprochen habe, was er in
Art. 35 selbst nicht gehalten habe. Nun mag es wohl vorkom-
men, daß aus Unachtsamkeit einmal der Verfasser der Motive
eines Gesetzes nicht genau das begründet, was das Gesetz
selbst anordnet. daß aber ein bewußter Widerspruch zwischen
Norm und Motiven angenommen werden dürfe, läßt sich wohl
niemals rechtfertigen. Das Gericht drückt jenen Vorwurf aller-
dings höflicher aus, indem es sagt: „Es rechtfertigt sich daher
vielmehr der Schluß, daß das Gesetz den in den Moti-
ven geäußerten Gedanken nichtim vollen Um-
fange verwirklicht hat.* Dieser „Gedanke* ist aber
eben nichts anderes als das Versprechen an die Beamten. sie
durch dienstrechtliche. dem Reichsrecht entsprechende Mindest-
leistungen versicherungsfrei zu machen. also ein Versprechen,
welches nach der Auslegung des Gerichts im Gesetze selbst nicht
gehalten ist.
Das Gericht übersielit zudem. daß die Anordnung des Be-
amtengesetzes in Art. 35 durchaus kein novum im bayerischen
Dienstrechte darstellte. \Vas im Art. 35 steht. das stand schon
vorher fast wörtlich gleichlautend fest für alle nichtpragmatischen
Staatsbeamten und Staatsbediensteten. Die Kgl. Allerh. Verord-
nung vom 26. Juni 1894. die Dienstverhältnisse der nichtprag-
matischen Staatsbeamten und Staatsbediensteten betr. (GV BI. S. 321,
Archiv des öffentlichen Rechts, XXXIIT. 1/2. 5