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Sınne der herrschenden Lehre, sondern vielmehr die überkom-
menen Begriffe von Staat und Souveränität
rechtlich unhaltbar seien; indes hat SEYDEL, wie ge-
sagt, diese Konsequenz nicht gezogen; wir — ziehen sie und
gedenken im folgenden zu erweisen, daß sie allein die rich-
tige ist.
Die Bundesstaatstheorie von GEORG WAITZ ist aufgebaut auf
dem Gedanken der Teilbarkeit derSouveränität; mit
ihm steht sie und fällt sie.
Gegen die Teilung der Souveränität richten sich denn auch
die Angriffe SEYDELs; er behauptet’, die Souveränität sei
begriffsmäßig unteilbar, unbeschränkt und aus-
schließlich.
Hätte nun SEYDEL Recht, so wäre der Bundesstaatsbe-
griff im Sinne von GEORG WAITZ allerdings ein wissenschaftlich
unmöglicher, er hätte eine wissenschaftliche Existenzberechtigung
nicht.
Aber SEYDEL hat nicht Recht; was wir nämlich seinem
Souveränitätsbegriff entgegenzuhalten und vorzuwerfen haben, ist
dies, daß er auf einer einseitigen Ableitung aus dem
historischen Normaltypus des Staates, dem sog. Einheits-
staate, beruht; daß er auf einer unzulässigen und fehlerhaften
Identifizierung des Einbeitsstaates mit dem
Staate überhaupt aufgebaut ist.
Daraus, daß im Einheitsstaate die Staatsgewalt nur eine,
daher zugleich allumfassende, unbeschränkte ist, folgert SEYDEL*,
daß es der Staatsgewalt überhaupt eigne, daß sie keine
Sehranken habe, absolut sei.
Wir halten diese Schlußfolgerung nicht für gerecht-
fertiert — sie schießt uns über das Ziel hinaus —, sondern viel-
’ Tübinger Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 1872, S. 185
bis 256.
* Und mit ıhm die meisten Schriftsteller.
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