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griffen werden kann, so bringt das für die Verfassungsgeschichte
fast ganz Europas bedeutsame Jahr 1848 auch Oesterreich zum
erstenmale eine konstitutionelle Verfassung®®, Da ist es denn
nun sofort für den Unterschied zwischen juristischer und histo-
risch-politischer Betrachtungsweise bezeichnend genug, daß ge-
rade die Aprilverfassung des Jahres 1848 (nach ihrem Schöpfer
auch Pillersdorfsche Verfassung), die, historisch-politisch betrachtet,
(indem sie die bisher unumschränkte gesetzgebende Gewalt des
absoluten Monarchen zugunsten einer nunmehr zur Mitwirkung
bei der Gesetzgebung berufenen Volksvertretung beschränkte), ein
unerhörtes Novum schuf, juristisch betrachtet nicht als Staatser-
neuerung sich darstellt. Daß der Staat vordem eine absolute
Monarchie war, nunmehr eine konstitutionelle ist, bezeichnet
nur eine politische und nicht eine juristische Umwälzung. Es
ist juristisch derselbe Staat, in dem der Monarch nur von
einer der rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machte, wenn
er auf sein alleiniges Gesetzgebungsrecht verzichtet hat. Ganz
anders würde sich die Sache darstellen, wenn unsere erste Ver-
fassung, materiell ja auf jeden Fall ein Ergebnis der Revo-
lution, auch formell sich als solches gäbe, indem sie nicht als
Oktroi des Kaisers, sondern als Gesetzgebungsakt der Revolutions-
partei aufgetreten wäre. Dieser kleine Unterschied in der Form,
welchen eine historisch-politische Betrachtung mehr oder weniger
vernachlässigt, ja mit gutem Rechte ganz übersehen würde, macht
den einschneidendsten juristischen Unterschied. Eine konstitutio-
nelle Verfassung als Akt einer Revolutionspartei würde nicht eine
rechtmäßige, sondern, an der Verfassung des absoluten Staates
gemessen, eine rechtswidrige Beschränkung des Monarchen, und,
3 Vgl. für den folgenden, ganz kursorischen, nur auf die Frage der
Rechtseinheit abzielenden Ueberblick namentlich: BERNATZIK, Die österr.
Verfassungsgesetze, 2. Aufl, Wien 191l, Franz HAUKE, Grundriß des
österr. Verfassungsrechtes, Leipzig 1905, Artikel „Verfassungsgeschichte*,
4. Bd. des österr. Staatswörterbuchs, 2. Aufl. S. 730 ff. u. a. m.