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Gegenwartsstaat Oesterreich nicht das einzige Beispiel. In allen
Fällen, wo der Konstitutionalismus den Absolutismus ablöste, hat
sich dieselbe Erscheinung ereignet, zeigt sich gleichfalls der ma-
teriell-verfassungspolitisch doppelt gestaltete Einheitsstaat. Ist ja
der hiefür bestehenden Form der Verfassungsänderung mit Leich-
tigkeit Genüge geschehen! Nichts ist leichter als ein Regierungs-
oktroi. Auch wo der Apparat eines parlamentarischen Staats-
akts aufgeboten wurde, läßt sich unter Abstraktion des — beim
Uebergang vom absoluten zum konstitutionellen Staat nicht nöti-
gen — parlamentarischen Beiwerkes ein einseitiges Oktroi heraus-
schälen. Um wie viel schwerer ist die verfassungsmäßige Methode
des Uebergangs vom konstitutionellen zum absoluten Staate einge-
halten! Tatsächlich ist in Oesterreich dieser Weg bei der — wie
gezeigt nicht vereinzelten — Wiederherstellung des Absolutismus
nie gegangen worden. Die Uebergangsstellen vom Konstitutio-
nalismus zum Absolutismus stellen sich also in der österreichischen
Verfassungsgeschichte durchaus als Bruchstellen dar; und diese
Verfassungsbrüche bezeichnen wiederum die Entstehungsakte neuer
Staaten.
Der skizzenhafte Ueberblick über die bekannten, aber doch
nach einem neuen Gesichtspunkt geordneten Haupttatsachen der
österreichischen Verfassungsgeschichte hat uns, wo man bisher
ein einziges Oesterreich zu sehen gewohnt war, nicht wenige
Staatsgebilde vor Augen geführt, für die es alle nur den einen
Namen Oesterreich gibt, wiewohl sie innerlich nichts miteinander
zu tun haben. Das Wort Oesterreich ist also nur im historisch-
politischen Sinn ein Eigenname, im Rechtssinn muß er als Gat-
tungsname angesehen werden; nur mit der einen Einschränkung,
daß doch nur eines dieser „Oesterreiche* den Gegenwarts-
staat darstellt, daß es sich aber im übrigen um historische
Staatsgebilde handelt. Und weiter hat uns der Ueberblick über
die Haupttatsachen der österreichischen Verfassungsgeschichte be-
lehrt, daß der Gegenwartsstaat Oesterreich, wenn wir ihn als