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Verfassungsstaat uns vorstellen wollen, höchstens bis zum Jahre
1865 zurückreicht, daß also darüber hinaus in die Vergangenheit
zurück im Rechtssinn Fremdland, Ausland liegt.
VI. Die Rechtseinheit des österreichischen Staates.
Dieser Auslandscharakter aller sonstigen, dem historisch-poli-
tischen Staatsindividuum eigen gewesenen Rechts- oder Verfas-
sungsformen (mit Ausnahme der gegenwärtigen, weil diese den
Ausgangspunkt der Betrachtung abgibt), bringt nun eine theore-
tisch kaum beachtete, praktisch im höchsten Grad bedeutsame
Konsequenz mit sich. Stellen die vergangenen, teils absolutisti-
schen, teils konstitutionellen Verfassungsepochen im Verhältnis
zum Gegenwartsstaat fremde Staaten dar, — von Ausland wird
man nur deswegen nicht sprechen, weil der Sprachgebrauch diesen
Ausdruck auf fremdeStaaten mit anderem Territorium beschränkt, —
handelt es sich also um fremde Staaten, so handelt es sich
auch, soweit deren Recht in Frage kommt, um fremdes Recht.
Die Anwendung des in diesen überholten Verfassungsären ent-
standenen Rechtes ist also im Zweifel — wie paradox dies auch
klingen mag — nicht anders zu beurteilen als die Anwendung
ausländischen Rechtes; das heißt mit anderen Worten, seine An-
wendung wäre einfach ausgeschlossen, falls es sich nicht erweisen
ließe, daß sich der Gegenwartsstaat dieses vergangene Recht
irgendwie zu eigen gemacht habe. Nun braucht man sich nur zu
vergegenwärtigen, wieviel an derartigem vergangenen (vorkonsti-
tutionellen) Recht, (wie es auch hier mit dem üblichen Ausdruck
genannt sei), tatsächlich noch in Verwendung steht, um ermessen
zu können, von welch einschneidender praktischer Bedeutung die
hier entwickelte theoretische Erkenntnis wäre. Gerade der vorkon-
stitutionellen Gesetzgebung ist der Grundstock des derzeit in Oester-
reich angewendeten Rechtes zu danken, die Gesetzesprodukte des
gegenwärtigen Verfassungsstaates treten hinter die des absoluten
Staates an Quantität — daß vielfach auch an Qualität, tut nichts