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höchsten Grade problematisch ist, was aber eben übersehen wird.
Wollte man nun, um justament auf jeden Fall die fortdauernde
Gültigkeit des bürgerlichen Gesetzbuches zu retten, den Ausgangs-
punkt der Rechtskonstruktion bei dem Staate nehmen, dem man
es zu danken hat, beim absoluten Staate des Jahres 1811, so wäre
damit dem angestrebten Zwecke keineswegs gedient. Denn vor-
wärtsschreitend, gelangt man an eine Bruchstelle, die sich nicht
überbrücken läßt. Man muß gerade vom Standpunkt des abso-
luten Staates des Jahres 1811 aus erkennen, daß der Absolutis-
mus im Jahre 1848 endgültig abgedankt hat, und daß der nach
ihm neuerlich aufgetauchte absolute Staat, aus dem letzten Endes
der Gegenwartsstaat hervorgegangen ist, zu jenem absoluten Staate,
der das bürgerliche Gesetzbuch geschaffen hat, außer Beziehung
steht. Bei konsequentem Verharren am anfangs eingenommenen
Standpunkt bliebe bloß das eine übrig, alle neuen Staatsgebilde
zu ignorieren, damit aber wohl auch der ganzen neueren (esetz-
gebung die Gültigkeit abzustreiten®® — doch wohl ein zu großes
Opfer, um die Fortgeltung der Gesetze aus dem Vormärz zu retten.
An diesem Hindernisse, nicht bis zum Gegenwartsstaate, zum
Verfassungsstaate vordringen zu können — außer daß man diesen
überhaupt negiert —, sondern notwendig im Historischen stecken
bleiben zu müssen, scheitern alle Versuche, nicht aus der Gegen-
wart zurück in die Vergangenheit, sondern aus dieser, bei einem
besonders zusagenden Punkte ansetzend, in der Richtung der Ge-
genwart vorzuschreiten. Die ganze konstitutionelle Gesetz-
gebung erweist sich bei einem konsequent durchgeführten derartigen
Versuche, weil man vom Ausgangspunkte aus auf ununterbroche-
nem Wege nicht bis zu ihr vordringen kann, nicht als gültig.
Nun ist es aber weiterhin, wie sich schon aus den bisherigen
5 C. R. v. JAEGER, der beim Februarpatent seinen Ausgangspunkt
nimmt, aber konsequent und mutig genug ist, auf Grund dieses dogmati-
schen Ausgangspunktes die Geltung der Dezemberverfassung zu bestreiten
(„Die Wiederaufrichtung der gemeinsamen Reichsvertretung“, Wien 1912).