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Insbesondere umfaßt, wie ausgeführt, der gegenwärtige
österreichische Staat bisher eine absolute und konstitutionelle Aera.
Da diese Verschiedenheit in der Verfassung die Einheit des Staates
nicht berührt, kann auch an der unveränderten Gültigkeit der Zwi-
schen dem Septembermanifest (1865) und Dezemberverfassung
(1867) liegenden Gesetze — soweit sie nicht durch ein späteres
Gesetz aufgehoben wurden — nicht gezweifelt werden; die Staats-
grundgesetze wenigstens, denen man am ehesten eine solche Wir-
kung zuschreiben möchte, sind als derartiges derogatorisches Ge-
setz nicht anzusehen. Hingegen ist trotz der außerordentlichen
Verwandtschaft des Verfassungsprinzips den auf Grund oder nach
dem Sylvesterpatent ergangenen Gesetzen nicht ohne weiteres Gül-
tigkeit für die Zeit nach dem Septembermanifeste zuzuschreiben,
da mit der Staatsidentität auch die Bechtseinheit durchbrochen ist.
Nicht, wie man eher meinen möchte, der materielle Gegensatz in
den Staatsverfassungen, sondern die formale Verschiedenheit der
Staatsperson ‚hebt die Rechtseinheit auf und schließt damit gleich-
zeitig die Anwendung älteren Bechtes aus.
Diese Hervorkehrung der (materiellen) Frage, inwieweit die
Staatsverfassungen von einander abstehen, auf welche Staatsform
sich die gleichzeitig angewendeten oder gleichzeitig anzuwenden-
den Rechtsnormen gründen, gegenüber der anderen, wohl ganz
übersehenen, wie wir aber glauben, gerade entscheidenden (for-
mellen) Frage, wer der Staat sei, dem die in ihrer Anwendbar-
keit fraglichen Normen angehören, ob derselbe wie der Staat,
der sie heute anwendet, oder nicht, wird auch bei den folgenden
Belegstellen offenbar, welche zugleich ein Beispiel dafür sein sollen,
wie unser Problem in der Literatur gefaßt und zu lösen versucht
wird.
OTTO MAYER hebt mit aller wünschenswerten Schärfe die
jedenfalls bemerkenswerte Tatsache hervor, daß heute noch viel-
fach Recht angewendet wird, von dem uns, wie er richtig be-
merkt, eine tief einschneidende Verfassungsreform, von dem uns