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In flüchtiger Rückschau sei unser — vielfach bisher unbe-
tretene Pfade verfolgender und mehrfach von der geraden Richtung
unvermeidlich abschweifender — Gedankengang ins Licht ge-
rückt!
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Die Besonderheit des Staatsbegriffs im rechtlichen Sinn ist
unser dogmatischer Ausgangspunkt. Was ist der Erkenntnisgrund
dieses besonderen Staatsbegriffes, wenn die historisch-politische
Gegebenheit ihm nicht zugrunde gelegt werden, die historisch-
politische Einheit ihm nicht als Erkenntnisgrund dienen kann?
Es ist die Rechtseinheit. Dem einheitlichen, geschlossenen Rechts-
system ist der Staat im Rechtssinn zugeordnet; wo Bruchstellen
im Rechtssystem sichtbar werden, wo der Uebergang nicht
mehr harmonisch ist, dort ist die Staatseinheit zu Ende, dort hebt
ein neuer Staat an.
Wann ist jedoch von einer Rechtseinheit zu reden? Uns ist
die Rechtseinheit nicht auf so einfache Weise hergestellt wie für
die herrschende Lehre vermittels ihres Satzes von der lex poste-
rior. Die Eigenschaft der Unabänderlichkeit, der
Ewigkeit, die ich dem Rechte in all seinen Erschei-
nungsformen, in seiner generellen wie in seiner individuellen,
in seiner abstrakten wie in seiner konkreten Gestalt, dem Rechte
als Gesetz und Verordnung und nicht anders als Entscheidung
und Verfügung zuspreche — sie ist nebenbei erwähnt, das We-
sentliche des Rätseldings der sogenannten „Rechtskraft“ — diese
Eigenschaft des Rechtes schließt die beliebte Operation mit dem
Satze der lex posterior aus. A priori gilt er nicht einmal inner-
halb derselben Rechtsordnung, geschweige denn daß er ver-
liche Verordnung und Landesverfassung, Wien 1916, versucht, auf den hie-
mit verwiesen sei. — Auch das Problem des Verhältnisses zwischen Reichs-
und Kronlandsverfassung kann somit unter dem Titel der Rechtseinheit des
österreichischen Staates aufgerollt werden; ich hatte und habe bei diesem
Worte vornehmlich ein anderes Problem im Auge, eben jenes, das Gegen-
stand der vorstehenden Untersuchung ist.