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des Krieges machte eine rasche Orientierung über die Landesverhältnisse
notwendig. Aber weiter der Gedanke, daß nach dem Kriege Oesterreich-
Ungarn mit dem Deutschen Reich in eine engere Verbindung treten werde,
hat ein immer größeres Interesse für die Verfassung der Donaumonarchie
entstehen lassen. Der Verfasser, der selbst als Offizier am Feldzug teilge-
nommen und die staatlichen Verhältnisse von Oesterreich-Ungarn hierbei
aus eigener Anschauung kennen gelernt, hat sich deshalb entschlossen, dem
deutschen Leser Aufklärung über die staatsrechtlichen Grundlagen des Nach-
barreiches zu geben.
Er ist dieser Aufgabe gerecht geworden. In einer übersichtlichen, leicht
verständlichen Darstellung werden Jie Einrichtungen des Nachbarreiches
geschildert. Zuerst werden die geschichtlichen Grundlagen der österreichisch-
ungarischen Monarchie in kurzen Zügen umrissen. Dann werden die ge-
meinsamen Verfassungselemente besprochen und schließlich nacheinander
die besonderen Institutionen der beiden Reichsteile, Ungarns und der öster-
reichischen Königreiche und Länder.
Das Werk ist populär in dem Sinn, daß es auch Laien klaren Einblick
in den Stoff gewährt. Es ist aber gleichzeitig von wissenschaftlichem
Charakter, eine Synthese, die immer schwer zu erreichen und deshalb um
so verdienstvoller ist. Da ist hervorzuheben die organische Gliederung der
Materie, die geschickte Auswahl gerade der wichtigsten Institutionen aus
der Fülle des Gegebenen. Auch geht der Verfasser staatsrechtlichen Streit-
fragen nicht aus dem Weg und führt den Leser in die vier großen Kontro-
versen ein, welche die Donaumonarchie in sich birgt:
Da ist einmal die Frage, wie das Gesamtgefüge des Reiches theoretisch
zu konstruieren ist. Der Verfasser lehnt es ab, ein rein völkerrechtliches
Verhältnis anzunehmen, also einen Staatenbund, eine Realunion. Diese Auf-
fassung, sagt er, würde der Wirklichkeit Zwang antun ; die Gemeinsamkeit
der geschichtlichen Betätigung und die Gemeinsamkeit der wichtigsten
Staatsfunktionen, äußere Politik und Heerwesen, treten zu augenfällig her-
vor, um eine rein völkerrechtliche Deutung des Verbandes genügen zu
lassen. Andrerseits hält der Verfasser auch keinen Bundesstaat für ge-
geben. Die gemeinsamen Einrichtungen sind ihm nicht entwickelt genug
und stehen einer zu stark ausgeprägten Einzelstaatsgewalt gegenüber. Die
österreichisch-ungarische Monarchie, so schließt er, kann nicht unter einen
der feststehenden Begriffe subsumiert werden. Sie ist als ein eigenes Ge-
bilde innerhalb der Völkergemeinschaft zu betrachten (S. 42 sq.).
Nun ist dem Verfasser zuzugeben, daß es politische Formationen gibt,
die sich hart an der Grenze der geläufigen Begriffsbildungen halten, indem
sie im Uebergang zu anderen Formationen begriffen sind. So strebten vor
dem Weltkrieg die selfgoverning colonies des britischen Reiches, Kanada,
Australien, Südafrika und Neuseeland zu immer größerer Selbständigkeit,
und es war ein organischer Prozeß wahrzunehmen, kraft dessen sie sich