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Es interessiert uns hauptsächlich der Bundesstaat. Wie ist
diese Vereinigung der Einzelstaaten rechtlich aufzufassen ? LABAND,
REHM und JELLINEK betrachten den Bundesstaat und im beson-
deren das Deutsche Reich als eine Korporation der einzelnen
Staaten®. Ich möchte diesen LABAnDschen Gedanken übernehmen.
Nur glaube ich nicht, daß bei der Vorstellung des Reiches als
körperschaftlichen Subjektes der Reichsgewalt von den Gliedstaaten
zu abstrahieren ist, wie LABAND meint®. Das Reich als Gewalt-
und Rechtssubjekt 1° ist eine korporative Vereinigung der in ihren
Staatsvölkern konkret in Erscheinung tretenden Einzelstaaten.
Die bundesstaatliche Gewalt ist nicht im Besitze eines fiktiven
Rechtssubjektes’! oder einer bloßen Abstraktion, sondern sie steht
den Einzelstaaten in ihrer rechtlichen Einheit zu. Diese fußt nicht
nur auf einer Abstraktion der Wissenschaft, sondern sie beruht
auf dem in der Verfassung niedergelegten reellen oder wirkenden
Willen der Einzelstaaten, einen übergeordneten Gewaltträger, das
Reich, den Bund zu schaffen und durch entsprechende Willens-
organe sich zu erhalten (Gesamtakt, so KUNTZE, BINDING, FLEI-
NER. Vgl. FLEINER, Die Gründung des schweizer. Bundesstaates
(1898) S. 26 ff., 37).
Ein jetzt insbesondere in der Schweiz sehr aktuelles Problem
betrifft die Grenzen dieser bundesstaatlichen Gewalt gegenüber
den Einzelstaaten.
Auf den ersten Blick möchte es scheinen, daß die bundes-
staatliche Gewalt in diesen Kriegszeiten zu einer ausgesprochenen
Unmittelbarkeitsich weiter entwickelt hätte'?. Die militärischen
8 LABAND a. a. O. IS. 61, 84, 85, Renm, Allgem. Staatslehre (1899)
S. 171, JKLLINER, Allg. Staatslehre® (1914) S. 769 ff. mit S. 183 und die
dortige Literatur.
®A.a. O.1S. 84, 85.
10 Gegen den Rechtssubjektsbegriff beim Staate: O. MAYER in der
Festgabe für LABanDn 1 (1908) S. 60 ff.
ıı Dagegen O. GIERKE in SCHMOLLERs Jahrbuch VII (1883) 8. 1126.
ı2? Das Erfordernis der Unmittelbarkeit der bundesstaatlichen Zentral-
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