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Den Ausgangspunkt, den der Verfasser für sein Werk nahm, bilden
ununıstößliche Thesen. Dieselben, die auch wir bei Betrachtung des Wesens
des Völkerrechts und seiner Zwangsmittel aufstellten (LIrscHhüTz, Fragen
zum Völkerrecht im „Archiv d. ö. R.*, Bd. 24 S. 138ff.): den Rechtscharakter
des Völkerrechts, seine verbindliche Kraft schöpft diese Materie ebenso
aus der Anerkennung der Beteiligten, wie das staatliche Recht, vor allem
in seinen ersten Anfängen. Wenn und solange diese Ueberzeugung besteht
und gar erstarkt, wird das Völkerrecht und seine Normen, vielleicht auch
die über die Beilegung von Streitfällen durch Schiedsgerichte, gefestigt
werden. Je reifer also die am Völkerrecht beteiligten Mächte sein werden,
desto größere Aussicht wird bestehen, daß die zwischen ihnen entstehenden
Streitfragen durch unparteiische Gerichte, Schiedsgerichte freilich stets
nur, ihre befriedigende Erledigung finden. Daß aber diese Reife je eine
Vollendung erlangen könnte, die jede kriegerische Erledigung von Streitig-
keiten unter den Völkern ausschaltete, ist ebenso eine Utopie wie jene
andere Theorie, die durch Schaffung einer sämtlichen (mindestens) euro-
päischen Staaten übergeordneten Macht, einer „Zentralgewalt“, mit Zwangs-
mitteln gegenüber dem einzelnen Staat ausgestattet ein Verfabren ähnlich
denen des nationalen Rechts zum Ausgleich entgegenstehender Interessen
beziehungsweise Verwirklichung bestimmter Ansprüche zu begründen ge-
denkt. Beides sind Extreme: jene erstrebte Reife der Völker hat erkennt-
nistheoretisch ebenso ihre Grenzen, wie andererseits der „Friedensweltstaat®
völkerpsychologisch und staatsrechtlich ein Unding ist. Bleibt also nur
der resignierte Schluß auf die Mitte: den Krieg wirklich als ultima
ratio zu beschränken! Aber dann auch unter allgemeiner Anerkennung.
Auch hier ist die Grenzziehung äußerst schwierig: wird sich nicht schließ-
lich hinterdrein jedesmal sagen lassen, daß man doch vielleicht noch einen
andern Weg hätte wählen können? Oder wer sollte gar darüber befinden,
ob die ultima ratio in dem betreffenden Fall angebracht ist? Welches
Schiedsgericht — wenn ein solches entscheiden sollte — würde hierfür die
Verantwortung auf sich nehmen wollen. Selbst an der bescheidenen
Forderung der Beschränkung des Kriegs als äußersten Zwangsmittels bleibt
also ein gut Teil Utopie und unerfüllbarer Wunsch! —
Die geschichtliche Entwicklung des Wesens von der internationalen
Schiedsgerichtsbarkeit ist durch den lohenden Weltkrieg Lügen gestraft
worden. Sie mag Jahrhunderte alt sein — und vermochte doch nicht diesen
Krieg zu verhüten. Wo also liegt die Präventivwirkung der bisherigen
angeblichen Erfolge früherer Schiedsverträge? Selbst derjenigen für noch
so beschränkte Gebiete bestimmten? Was besagt für einen Weltkrieg
wie diesen die Beilegung früherer, geringfügiger Streitigkeiten im schieds-
gerichtlichen Verfahren? Jene waren eben kaum geeignet, die ‘Völker so
zu engagieren, daß jemals hieraus kriegerische Verwicklungen hätten ent-
stehen können. Oder aber die Staaten gaben sich einem solchen Verfahren
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