—_— 312 —
aus Gründen politischer Opportunität hin, weil sie sich gar zur Krieg-
führung noch nicht stark genug fühlten.
Dies aber bleibt bestehen: kollidieren wirklich wesentliche Lebens-
interessen der Staaten, so wird keiner von ihnen bereit sein, andere hier-
über entscheiden zu lassen, er wird sie eifersüchtig und ängstlich zu hüten
und zu verteidigen suchen. Hieran findet — wenigstens heute noch — die
Reifevollendung der Völkererkenntnis jedenfalls ihre Grenze! Darüber
hinaus herrscht nur noch die Macht!
II. Das Wesentliche bleibt, daß auch nach den bisherigen Ergebnissen
‚das Schiedsgericht im Staatenstreit nur dann in Funktion tritt, wenn der
Wille hierzu auf beiden Seiten vorhanden ist, mag der Anstoß auf Zweck-
mäßigkeitserwägungen oder auf Rechtsüberzeugungen beruhen. Immer erst
führt der Entschluß. der beteiligten Staaten ein Tätigwerden des Schieds-
‚gerichts herbei. Gleichviel, ob es sich um sog. „isolierte“ oder „institutio-
nelle Schiedsgerichtsbarkeit“ handelt. (Diese Namen bedeuten nach dem
Verfasser folgendes: er versteht unter der erstgenannten Art diejenige
'Schiedsgerichtsbarkeit, die auf Grund speziellen Entschlusses der Staaten
für den konkreten Fall eingesetzt wird, während die andere Art auf einer
Vorausvereinbarung zum Tätigwerden der Schiedsgerichte für bestimmte
Fälle beruht.) Daß die letztgenannte Art an sich eine stärkere Bindung
für die kontrahierenden Staaten enthält, kann kaum bezweifelt werden.
Ihrer inneren Bedeutung nach vermag sie sich indessen von der isolierten
Schiedsgerichtsbarkeit um deswillen kaum abzuheben, weil es doch auch
ibei ihr jedesmal, d. h. von Fall zu Fall, erst von der Enntschließung der in
‘Streit geratenen Staaten abhängt, ob diese tatsächlich die Entscheidung
‚eines Schiedsgerichts wollen oder nicht. Insofern liegt also stets eine Art
sog. isolierter Schiedsgerichtsbarkeit vor. Man mag sie schließlich auch
aneigentliche isolierte Schiedsgerichtebarkeit nennen. Die institutionelle
‘Schiedsgerichtsbarkeit wird freilich prävenierenden Wert besitzen: sie
zwingt vielleicht die Staaten für einen Streit, der schon früher einmal oder
doch auf Grund gleicher Verträge gegenüber einem andern Staat durch
‚ein Schiedsgericht entschieden ist, auch in dem neuen Fall sich mit dem-
selben Mittel zu begnügen. Aber — wenn wir wieder auf die Parallele
zum nationalen Prozeßrecht greifen: ein privatrechtlicher Schiedsvertrag
vermag den Rechtsweg — die ultima ratio — auszuschalten, ein Staaten-
schiedsvertrag dagegen ist nicht imstande, das Entsprechende mit Bezug
auf den Krieg durchzusetzen.
Seinem inneren Wesen nach wird der Schiedsvertrag dadurch nicht
alteriert, ob ein Staat lediglich im einzelnen Fall sich der Entscheidung
eines Schiedsgerichts unterwirft oder ob er allgemein hierzu durch ein sog.
Obligatorium verpflichtet ist. In beiden Fällen bedarf es doch stets erst
einer Spezialentschließung, ob der schiedsgerichtliche Weg begangen wer-
den soll oder nicht. Will der eine oder der andere der Staaten diesen