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nicht, so schützt den vertragstreuen Staat auch das Obligatorium herzlich
wenig.
Ill. Dem noch unvollkommenen Wert der institutionellen Schieds-
gerichtsbarkeit entspricht das Ergebnis der Bemühungen auf den beiden
Haager Konferenzen. Die zweite Konferenz kam nicht viel weiter als die
erste. Dies muß auch LAMMAScCH zugeben. Ja, es ist bezeichnend, daß
das einzige obligatorische Schiedsgericht, zu dessen Einsetzung man sich
schließlich verstand — das im übrigen aber mangels Ratifizierung durch
die Hauptgroßmächte noch nicht eingesetzt ist —, als oberste Voraus-
setzung den Krieg hat: ohne diesen sind Prisen und Prisengerichte nicht
gut möglich.
Der wahre Grund, weshalb dem Schiedsgerichtsgedanken im Völker-
recht so schwer ein Weg zu bahnen ist, liegt einzig darin, daß ein völker-
rechtliches Prozeßverfahren den Stempel erwünschter, vergleichsweiser Er-
ledigung trägt, mithin leicht als Zeichen von Schwäche ausgelegt werden
kann, vor allem für den, der Ansprüche erhebt und es selbst doch nicht
„wagt“, zu ibrer Durchsetzung das äußerste Mittel zu ergreifen. Im natio-
nalen Recht löst die Inaussichtstellung der Anrufung eines Gerichts, und
auch eines Schiedsgerichts, die gegenteilige Wirkung aus. Hier bilden
schon diese Mittel die ultima ratio. Im Völkerrecht hingegen gibt es noch
stärkeren Zwang, der einen vollwertigen Ersatz im Schiedsgerichtsverfahren
bislang nicht gefunden hat. Auch LAMmMmASscH streift diesen Gedanken,
nur dürften jene Unterschiede noch nicht deutlich genug gekennzeichnet
sein. Erst wenn es zur allgemeinen Staatenüberzeugung geworden ist, daß
das Anbieten oder die Inanspruchnahme kein Zeichen der Schwäche
bildet, erst in dieeem Augenblick dürfte fester Boden für eine allgemeine
völkerrechtliche Schiedsgerichtsbarkeit gewonnen sein. Daß dies für alle
Zeit unmöglich sein sollte, braucht nicht einmal angenommen zu werden.
Auch in anderen Fragen hat sich im Laufe der Zeit die Anschauung der
Staaten so konsolidiert, daß auf ihr unumstößliche Rechtssätze aufbauen
konnten. Aber immer ist dauernd festzuhalten: was für das nationale
Recht die Staatsgewalt bedeutet, das vermag im Völkerrecht nur die ge-
meinsame Ueberzeugung der beteiligten Rechtssubjekte zu ersetzen!
Solange die innere Notwendigkeit der Ausschaltung des Krieges und
die Schaffung einer Schiedsgerichtsbarkeit von noch so geringem Umfange
nicht allgemein anerkannt ist, wird ein ersprießliches Ergebnis internatio-
naler Konferenzen zu dieser Frage nicht zu erwarten sein. Dies zeigt auch
der Gang der bisherigen Verhandlungen.
Es wird gewiß den Großmächten nicht leicht fallen, eine dritte, noch
so unparteiische Instanz über sich richten zu lassen. Der Souveränitäts-
gedanke hindert in erster Linie die Förderung der schiedsgerichtlichen
Institution. Die Befürchtung aber, daß hieraus sich irgendwelche der
Souveränität zuwiderlaufende Konsequenzen ergeben könnten, ist unbe-