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unlöslich mit der menschlichen Persönlichkeit verbunden ist (S. 283). Aber
auch dem Recht als „Form* trägt Verfasser Rechnung, indem er es als
„die feste Form bezeichnet, in der menschliches soziales Wollen in die Er-
scheinung tritt“ (S. 287). Hinsichtlich des Gewohnbeitsrechtes kann ich
hier NıErDneß zwar nicht folgen. _Die feste Form wird bei diesem Rechts-
gebilde doch erst allmählich aus den Zwangsordnungen des Handelns sich
entwickeln und erst mit der Formulierung z. B. im Weistumsrecht, Statu-
tarrecht usw. angenommen werden können. Es freut mich aber, daß NIEDNER
so besonderes Gewicht auf den Formcharakter des Rechts legt, denn dieser
ist tatsächlich das wesentliche Begriffsmerkmal eines aus einer staatlichen
oder außerstaatlichen Organisation (kirchlicher, genossenschaftlicher usw.)
entstandenen Gebildes von Rechtssätzen. Aber es gibt auch Recht bevor
diese feste Form schon gegeben ist, nämlich insbesondere das Gewohn-
heitsrecht in seinen Anfängen.
Ich habe (S. 7 meiner Schrift) hervorgehoben, daß die Bildung des
formulierten Rechts auf zwei scharf voneinander zu trennenden Vor-
gängen beruht, einmal auf dem völkerpsychologischen, auch beim
Gewohnheitsrecht anzutreffenden und z. B. in einem Verbande herr-
chenden, gewohnheitsmäßigen Wollen, dann auf dem hinzutreten-
den Finden einer auf gewisse Zwecke gerichteten
Form (aristokratischer Vorgang). NIEDNER muß bei seiner Betonung
der „festen Form“ des Rechtes dem Gewohnheitsrechte gegenüber auf
Schwierigkeiten stoßen, denn dieses hat eben häufig auch schon ohne eine
derartig gefestigte Gestalt oder „sinnlich wahrnehmbare Erscheinung“ eine
große Bedeutung. Verf. ist nur konsequent, wenn er die Frage offen läßt,
ob „die letzte Quelle“ des Gesetzes- und Gewohnheitsrechts „dieselbe* ist
{S. 288). Bei der Unterstreichung der „festen Form“ als äußerer Erschei-
nung des Rechts ergäbe sich tatsächlich ein fundamentaler Unterschied
.swischen formuliertem und noch nicht so weit gelangtem Rechte. Diese
äußeren Verschiedenheiten dürfen uns aber keinesfalls die Erkenntnis dessen
verdecken, daß die Wurzeln von Gewohnheitsrecht und Gesetzesrecht die
gleichen sind. Ich habe mich bemüht, zu zeigen, daß das Wesentliche
sowohl beim Gewohnheitsrecht wie beim Gesetzesrecht in dem Willens-
moment besteht (a. a. O. S. 67ff. u. S. 87 ff.), während der Urteilscharakter
an Bedeutung zurücktreten muß.
Am Schluß seiner tiefgründigen Betrachtung kehrt NIEDNER wieder zu
der an die Spitze gestellten Frage zurück, indem er SoHuMm darin recht
‚gibt, daß es in der ersten christlichen Zeit kirchliches Leben ohne Rechts-
form gab (S. 307). Für die spätere Zeit ist NIEDNER sehr skeptisch, denn
er meint, daß noch mehr Aufklärung darüber zu erholen wäre, „wie lange
«ine bestimmte Gemeinde ohne Rechtsform“ ausgekommen ist. Auch hier
ist wieder zu beachten, daß das erste kirchliche Leben, wenn auch noch
nicht in festgelegten „Rechtsformen“, so doch in gewohnheitsrechtlichen