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der staatsbürgerlichen Pflichten bis zur äußersten Anspannung der
Kräfte, anderseits durch Anbahnung größerer Beweglichkeit im
herrschenden System der Gewaltentrennung. Was in der einen
Richtung, speziell in Deutschland geschah, bedarf keines Weg-
weisers. Die Novellen zum Belagerungszustande! sowie das Gesetz
über den vaterländischen Hilfsdienst sind Meilensteine, die man
nicht so leicht übersieht. Unscheinbarer mutet dagegen die zweite
Seite an: Die jeweilige Gestaltung der Zuständigkeitsnormen durch
die den Regierungs- und Vollzugsorganen erteilten außerordent-
lichen Ermächtigungen, welche das normale Verhältnis der ver-
schiedenen „Staatsgewalten“ zu einander ändern, ohne in den zu-
meist ziemlich typischen Aeußerlichkeiten auf den ersten Blick
tieferes Interesse zu erregen.
Daß aber auch hier eine zielbewußte planmäßige Politik oder
Taktik vorliegt, die wir Ermächtigungstaktik nennen
können, ist nicht zu verkennen, wenn man die wichtigsten Ermäch-
tigungen mit ordnender Hand ins Auge faßt, die sich heute als
stattlicher Ueberbau über dem Ermächtigungsgesetze vom 4. August
1914 erheben. Aus der Nähe erweist sich dann dieses Gesetz als
Ausgangspunkt eines verzweigten Systems verschiedener, davon
abgeleiteter Ermächtigungen von wechselnder Stärke, die ihre Kraft
samt und sonders aus dem durch das Ermächtigungsgesetz begrün-
deten Verordnungsrechte beziehen und einer klassifizierenden Be-
arbeitung zur Erfassung des konstruktiven Zusammenhanges be-
dürftig sind.
Beruht doch diese fortzeugende Kraft des Ermächtigungs-
gesetzes gewiß darauf, daß hier allerdings in etwas schlichter Fas-
sung und Begründung — ein regelrechtes Notstandsverordnungs-
recht mit allen typischen Merkmalen geschaffen wurde als die
letzte Grundlage aller späteren „wirtschaftlichen Diktatur“. Den
Charakter dieses Notverordnungsrechtes bezeugen unwiderleglich
ı Einen stofflichen Ueberblick gibt hier u. a. FRIEDRICH PREISER,
Leipziger-Zeitschrift für Deutsches Recht 1917, Seite 89 ff.