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dem Bundesrate selbst, ‚sondern gerade im Genehmigungsfalle
selbstredend auch dem Reichstage vorzulegen wären, also eine
doppelte Zensur zu durchlaufen haben. Daß es sich somit auch
hier um ausgesprochene Notverordnungen handelt, ist, wenn man
sich an den Kern der Sache hält und nicht‘ zu sehr an die
Form klammert°, ebenso wenig zu bezweifeln wie die Zulässig-
keit des ganzen Vorganges auf Grund des Notverordnungsrechtes
im Ermächtigungsgesetze. Nur fragt es sich, wie weit dieses
dem Reichskanzler eingeräumte Notverordnungsrecht reicht, ob
diesen Notverordnungen die volle „formelle Gesetzeskraft“
LABANDs zukommt, ob sie daher auch Gesetze brechen, ab-
ändern oder suspendieren können. Diese Frage ist sicherlich
zu verneinen. (ewiß haben solche Kanzler-Verordnungen, wie
sich aus 5 3 der Bundesratsverordnung nach unserer obigen Aus-
legung ergibt, die Kraft, die formelle Gesetzeskraft der einschlägigen
Notverordnungen des Bundesrates selbst, also provisorische Gesetze
zu überwinden. Sie sind also selbst provisorische Gesetze. Sonst
wären sie überhaupt keine richtigen Notverordnungen. Denn ohne
die zumindest potentielle Fähigkeit, wenigstens irgend etwas zu
„brechen“, keine wirkliche Notverordnung®. Diese Annahme ist
auch völlig unbedenklich, da der Bundesrat die Sache virtuell ganz
in der Hand behält. Aber eine Macht über bestehende formelle
Gesetze, welche sich doch nur und zwar bestenfalls auf ausdrück-
liche gesetzliche Bestimmungen gründen könnte, ist den Kanzler-
verordnungen mit keinem Worte verliehen, und da dies eben gar
—,—
5 Wie z. B. SPIEGEL in seinem verdienstlichen Buch: die kais. Ver-
ordnungen mit provisorischer Gesetzeskraft nach österr. Staatsrecht 1893,
S. 14, allerdings infolge seiner Beschränkung auf das österr. positive Ver-
fassungsrecht der Friedenszeit.
® Ergibt sich vielleicht als Folgerung, wenigstens in nuce, &aus MENZEL,
zur Lehre von der Notverordnung. Festgabe für LABAND, 1908, S. 380 u.
395. Auch BORNHAK, Grundriß des deutschen Staatsrechts. Vierte Auflage,
S. 109, insofern er für die Verbindlichkeit von einzelnen Formvorschriften
absieht. Dieser eıste Schritt vom Wege genügt.